

GUSTAVE
FLAUBERT
LEHRJAHRE
DER
MÄNNLICHKEIT
Und
das soll Männlichkeit sein?
Unter dem Titel «Lehrjahre der Männlichkeit» mit
dem Untertitel «Geschichte einer Jugend» ist 2020 der letzte Roman
von Gustave Flaubert in einer Neuübersetzung erschienen, ein
epochales Werk, das als Vorläufer des ‹Modernen Romans› angesehen
wird. Anders als bei «Madame Bovary» galt dieses Werk damals aber
als misslungen, die zeitgenössischen Rezensionen waren bis auf
wenige Ausnahmen allesamt vernichtend. Seine mit ihm eng befreundete
Kollegin George Sand hat das neuartige Konzept dieses
Entwicklungs-Romans als einzige Rezensentin wirklich verstanden,
umfassend kommentiert und ihn seinem Rang entsprechend gewürdigt.
Zeitlich in den 1840er Jahren angesiedelt,
beschreibt der im selben Jahr wie sein Protagonist geborene Autor
die französische Gesellschaft dieser Epoche in Paris. Frédéric
Moreau verlässt sein Elternhaus in der Provinz, um Jura zu studieren
und in der mondänen Metropole sein Glück zu versuchen. Er findet
schnell Anschluss an verschiedene Gesellschaftskreise, die ihm
nützlich sein sollen bei seiner Karriere. Frédéric verkehrt in der
Bohème, begeistert sich für journalistisch unangepasste,
systemkritische und revolutionäre Bestrebungen. Er sucht und findet
andererseits aber auch Kontakt zu etablierten, großbürgerlichen
Kreisen, von denen er sich Protektion erhofft und deren Wohlstand
ihm als einzig erstrebenswertes Lebensziel vorschwebt. Den von ihm
erträumten politischen Idealen steht diametral die reale
Gewissenlosigkeit der Kaufleute, Bankiers und Politiker beim ewigen
‹Tanz ums goldene Kalb› entgegen, was ihn zu einem permanenten
Zickzack-Kurs in seinen Unternehmungen zwingt. Gleiches gilt für
seine naiv schwärmerischen Beziehungen zu Frauen, die zwischen
‹himmelhoch jauchzend› und ‹zu Tode betrübt› changieren als ewiges
Wechselbad seiner Gefühle.
Der dreiteilig aufgebaute Roman beginnt mit dem
Bestreben des defätistischen Helden nach einer Karriere als
Politiker, nachdem er sich vergeblich als Schriftsteller, Maler oder
Musiker zu etablieren versucht hat. Als er den undurchsichtigen
Kunsthändler Arnoux kennen lernt, entbrennt er in schwärmerischer
Liebe zu dessen schöner Frau, der er sich aber nicht zu erklären
traut, weil sie ihm gegenüber sehr distanziert bleibt. In seiner
Hoffnungslosigkeit flüchtet er zurück in sein Elternhaus, hält es
aber da nicht lange aus und kehrt zurück nach Paris. Denn er hat von
seinem Onkel ein beträchtliches Vermögen geerbt, das ihm finanziell
ein sorgenfreies Leben ermöglicht, wenn er vernünftig damit umgeht.
Was ihm aber schwer fällt, einerseits, weil er den Luxus liebt,
andererseits, weil er seine Freunde großherzig unterstützt. Im
zweiten Teil schildert Flaubert detailliert und sehr anschaulich die
politischen Unruhen und dem Umsturz von 1848. Sein lange
unterbrochener Kontakt zu Madame Arnoux lebt wieder auf, sie wird
seine Vertraute, bleibt aber unerreichbar und verarmt nach einem
verlorenen Prozess. In Rosanette, Mätresse verschiedener reicher
Männer, findet er zeitweilig eine Geliebte, und als sie schwanger
wird, planen sie sogar zu heiraten. Aber ihre unbedarfte Art stört
ihn mit der Zeit doch, und als das Kind früh stirbt, bricht er mit
ihr. Wenig später verliebt er sich in die Frau eines befreundeten
Bankiers und hat eine Affäre mit ihr, die neue Perspektiven
eröffnet, als ihr Mann stirbt und sie sich steinreich wähnt mit der
zu erwartenden Erbschaft, - die aber ausbleibt, seine uneheliche
Tochter erbt alles! Auch diese Liaison, die in eine Ehe münden
sollte, zerbricht kläglich.
Dieser eindeutig ironisch gemeinte, elf Jahre
umspannende Roman von einem hoffungsvollen jungen Mann, der sich die
Hörner abläuft und sich im Erwachsenenalter als Philister wieder
findet, endet überraschend in einer ergreifenden Schlussszene. «Und
das soll Männlichkeit sein»? fragt sich der Leser in Hinblick auf
den Titel verblüfft. Den 579 Buchseiten folgt in der vorliegenden,
mustergültigen Ausgabe ein Anhang von fast hundert Seiten mit einem
68seitigen, äußerst hilfreichen Nachwort der genialen Übersetzerin,
welches dieses grandiose Werk zu einem ergiebigen literarischen
Studienobjekt erweitert im Kanon der Jahrhundert-Romane.
5*
erstklassig - Bories
vom Berg - 3. Juli 2025

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