ELSE
JERUSALEM
DER HEILIGE
SKARABÄUS
Unterhaltsam,
aber geschwätzig
Im Jahre 1909 erschienen erstmals der Roman «Der
heilige Skarabäus» der in Wien geborenen Else Jerusalem. Er löste
bei seinem Erscheinen einen Skandal aus, war er doch mit seiner
Prostituierten-Thematik nicht nur moralisch bedenklich für das
damalige Lesepublikum, sondern mit seiner unverblümten
Gesellschaftskritik auch ein Ärgernis für die ‹bessere Gesellschaft›
Österreichs. Gleichwohl (oder gerade deshalb?) musste dieser als ihr
Hauptwerk angesehene Milieu-Roman innerhalb von nur zwei Jahren 22
Mal neu aufgelegt werden, er wurde 1928 verfilmt, 1933 dann in
Deutschland als unerwünschtes Schrifttum verboten und fiel
anschließend den Bücher-Verbrennungen der Nazis zum Opfer. Der in
der ägyptischen Mythologie als Glücksbringer geltende Skarabäus ist
ein Mistkäfer, mit dem Buchtitel wird also symbolisch darauf
hingewiesen, auf welchem Unrat das angestrebte Glück der Huren
aufbaut. Die werden hier erstmals nicht mehr als Außenseiter der
Gesellschaft dargestellt wie in dem drei Jahre vorher anonym
erschienenen, pornografischen Roman «Josefine Mutzenbacher», sondern sie
sind für die als Feministin geltende Autorin ein inhärenter
Bestandteil der Gesellschaft.
Damit ist der Roman eine wegweisende und
hellsichtige Sozialstudie der besonderen Art, der die
bedauernswerten Frauen in den Fokus nimmt, die sich aus
verschiedenen Gründen prostituieren. Sie also stehen im Vordergrund,
werden als käufliche Ware wie Sklavinnen behandelt und suchen ihr
Glück meist vergebens. Am Aufstieg und Fall eines Bordells werden
hier die ökonomischen Vorbedingungen der käuflichen Liebe
exemplarisch verdeutlicht. Auf Korruption der staatlichen Behörden
aufbauend wird die Not und Unwissenheit junger Mädchen gewissenlos
ausgenutzt für ein äußerst einträgliches Gewerbe, das für alle
anderen Beteiligten viel Geld abwirft. Die Mädchen aber kommen meist
vom Land und erhoffen sich naiv, viel Geld zu verdienen oder einen
reichen Freier zu finden, der sie als Mätresse nimmt, oder besser
ehelicht, und aus ihrer Misere erlöst. Aber das gelingt eben nur
selten! Erzählt wird von dem einträglichen Mädchenhandel, der über
die Landesgrenzen hinaus für «Frischfleisch» sorgt. Das landet dann
bei Eignung, also körperlicher Attraktivität und entsprechendem
geistigen Niveau, in den noblen Bordellen der Großstadt. In einem
Edelbordell wie dem «Rothaus» in Wien müssen die Liebesdienerinnen
aber auch regelmäßig ausgetauscht werden, damit die wohlhabenden,
geradezu handverlesenen Freier mit stets neuen Attraktionen versorgt
werden und nicht gelangweilt zur Konkurrenz abwandern.
Das sprichwörtlich älteste Gewerbe der Welt wird
in diesem Gesellschaftsroman aus der Zeit der k.u.k. Monarchie einer
hochnotpeinlichen Analyse unterzogen, die dazu beiträgt, die
sozialen Missstände offenzulegen und der Gesellschaft die Leviten zu
lesen. Angeklagt werden die schikanösen Reglementierungen und das
hilflose Ausgeliefertsein der Mädchen an die willkürlich agierende
Polizei. Im Mittelpunkt des Geschehens steht Milada, die als
ungewünschtes Kind einer Prostituierten aufwächst und nichts anderes
kennt als dieses Milieu. Ihr gelingt es aber, sich durch Bildung aus
diesem Umfeld zu lösen. Als Erwachsene zieht sie in die Berge,
gründet ein Kinderheim und wird zur Ersatzmutter für viele Kinder
aus dem Milieu. Damit gleitet dieser Roman am Ende in eine Utopie
hinein, die dem Wunschdenken der engagierten Frauenrechtlerin Else
Jerusalem entspricht.
Die Figuren des Romans sind allesamt anschaulich
beschrieben und als fiktionale Personen durchaus glaubwürdig.
Erzählt wird das turbulente Geschehen in einer dem Milieu stimmig
angepassten Diktion, die mit mundartlichen Begriffen angereichert
ist, was manchen deutschen Leser doch etwas irritieren dürfte. Die
erzählerischen Ausflüge in philosophische Themen sind wenig
überzeugend, sie sind eher Geschwafel denn Lebensweisheit.
Hauptmanko aber dürfte die schiere Länge dieses unterhaltsamen
Romans sein, weniger wäre hier mehr gewesen!
3*
lesenswert - Bories
vom Berg - 5. Juni 2025

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