REGINA
SCHEER
MACHANDEL
DDR-Epos
von zerplatzten Lebensträumen
Der erste und bisher einzige Roman der in
Ostberlin geborenen und literarisch vielseitig tätigen
Schriftstellerin Regina Scheer erschien 2014 unter dem Titel
«Machandel». Er bezeichnet ein fiktives Dorf in Mecklenburg, das in
weiten Teilen der Schauplatz des Geschehens ist, aber im
Niederdeutschen auch ein Bezeichnung für den Wacholder. Die Autorin
schildert in ihrer von den 1930iger Jahren über den Zweiten
Weltkrieg, DDR und Wiedervereinigung bis in die Neuzeit reichenden
Geschichte die Auswirkungen der verschiedenen politischen Epochen
auf die Figuren ihres umfangreichen Romans. Im Anhang «Die
wichtigsten Personen» stellt sie nicht weniger als dreizehn davon
ausführlich vor, und auch die 25 Kapitel dieses Wenderomans sind mit
dem Namen einer der fünf Protagonisten überschrieben, aus deren
Perspektive jeweils abwechselnd erzählt wird. Beides erweist sich
als außerordentlich nützlich für die Orientierung beim Lesen.
Es beginnt damit, dass die 24jährige Clara,
wichtigste Protagonistin des Romans und unschwer als Alter Ego der
Autorin erkennbar, im Sommer 1984 von Ostberlin aus mit ihrem Mann
und Jan, ihrem vierzehn Jahre älteren Bruder, nach Machandel reist.
Jan wurde im Schloss von Machandel geboren und verbrachte seine
Kindheit dort bei der Großmutter. Es ist ihre erste Reise in das
Dorf, wo ihre Eltern sich einst kennen gelernt haben und ihr Bruder
dann ein Jahr später auch geboren wurde. Sie entdeckt bei diesem
Besuch eine herunter gekommene Kate, die sie als Sommerhaus
herrichten will. Clara arbeitet dann dort unter primitivsten
Bedingungen an ihrer Dissertation über das Märchen vom
Machandelbaum, das es in den verschiedensten Dialekten aus
unterschiedlichen Kulturen gibt. Allmählich lernt sie auch andere
Dorfbewohner kennen und erfährt von deren Schicksalen. So von
Natalja, einer Ostarbeiterin aus Weißrussland, die sich nach dem
Krieg nicht hat repatriieren hat lassen und in Machandel geblieben
ist. Hans Langner, Claras Vater,
war während der Nazizeit im Roten Frontkämpferbund engagiert,
überlebte das KZ und kann später in hohe Ämter der DDR. Clara und
vor allem ihr Bruder stehen dem Regime kritisch gegenüber, Jan wird
als Dissident zu Gefängnis verurteilt und verlässt nach der Haft
1985 die DDR. Er hatte einen Ausreiseantrag gestellt, der wohl wegen
seines prominenten Vaters dann auch positiv beschieden wurde. Aber
auch Clara und ihr Mann engagieren sich in einer regimekritischen
Friedensinitiative, und gute Freunde von ihnen werden als Mitglieder
einer Oppositionsgruppe sogar inhaftiert und müssen die DDR 1988
verlassen, - jedes politische Engagement war gefährlich im Arbeiter-
und Bauernparadies.
In diesem äußerst komplexen, detailverliebt
erzählten DDR-Epos von den zerplatzten Lebensträumen werden die
Schicksale der vielen Figuren eng miteinander verwoben. Durch die
unterschiedlichen Perspektiven ist es allerdings schwer, die
komplizierten Zusammenhänge immer richtig zu verstehen und
zuzuordnen. So erwähnt Claras Vater denn auch mehrfach, dass er
seiner Tochter «nicht alles» erzählt habe, ein deutlicher Hinweis
der Autorin also auf die Leerstellen, die sie für Claras Verständnis
der Geschehnisse ganz bewusst gelassen hat. Dieses überbordende Epos
als Konglomerat aus fünf Erzählstimmen leidet ein wenig unter deren
Gleichklang, es fehlen Spannung erzeugende, alternative Standpunkte
und kontroverse Diskussionen. Die Romanfiguren lassen scheinbar
klaglos alles über sich ergehen, zeigen sich ohnmächtig einem
Generationen übergreifenden, schicksalhaften Geschehen gegenüber.
Nüchtern, präzise und detailreich wird in diesem
Roman von einer mystischen Gegenwelt zum ‹real existierenden
Sozialismus› erzählt, raffiniert gespiegelt am uralten Mythos «Von
dem Machandelboom», der bekanntlich eine bessere Zukunft verheißt.
Die ist hier allerdings auch nach dem Mauerfall nicht gegeben und
droht ja trotz all der negativen Erfahrungen wieder in einen
faschistischen Albtraum abzugleiten. Die Figuren erzeugen keine
Emotionen und bleiben unnahbar, ihre Geschichten sind allzu
ausufernd erzählt und werden schnell quälend langweilig!
2*
mäßig - Bories
vom Berg - 18. Juni 2025

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