LEBT WOHL, IHR
GENOSSEN UND GELIEBTEN
Die rumänische Schriftstellerin Carmen-Francesca Banciu, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Berlin übersiedelte, hat mit dem Roman «Lebt wohl, ihr Genossen und Geliebten» und dem Untertitel «Tod eines Patrioten» den letzten Band einer Trilogie vorgelegt, in der sie mit dem Kommunismus in ihrem Heimatland abrechnet. Er ist auf Deutsch geschrieben, die Autorin gehört mithin wie viele andere zur Generation der «Chamisso-Enkel», Schriftsteller also, die aus ihrer Muttersprache ins Deutsche wechselten. Sie nimmt darin das Thema der beiden Vorgänger-Romane wieder auf, die Nöte eines «Kaderkindes» im Kommunismus, eines Kindes von hochrangigen Apparatschicks also, dessen Verhalten für die Eltern verheerende Folgen haben konnte, sollte es sich offen systemkritisch äußern. Der vorliegende autobiografische Roman ist eine Art literarisches Requiem, geschrieben in der heutzutage nicht gerade häufig anzutreffenden Form eines Poems.
Vortragende dieser Totenklage ist die Tochter eines hochverdienten Funktionärs der kommunistischen Partei, deren verwitweter 87jähriger Vater einen Unfall erleidet und schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert wird. Die in Berlin lebende Tochter wird benachrichtigt, hat aber selbst gerade nach einem Unfall ein Bein in Gips, sie kann nicht sofort nach Rumänien reisen. Dort kümmern sich zwei Geliebte des Vaters um ihn, seine ehemalige, ihm treu ergebene Sekretärin und die wesentlich jüngere Krankenschwester, die vor dreißig Jahren seine Frau liebevoll gepflegt hat, bevor sie sehr früh verstarb. Der Vater ist auch nach der Revolution unbeirrt ein glühender Kommunist geblieben, gleich mit den ersten Worten dieses reimlosen Langgedichts wird seine unbedingte Kadertreue verdeutlicht: «Für Vater waren drei Dinge wichtig/In der festgefügten Reihenfolge/Das Vaterland/Die Partei/Die Ehre der Familie». Das Private hatte sich also der Ideologie völlig unterzuordnen, worunter die heranwachsende Tochter sehr gelitten hat. Ihre aufmüpfige, systemkritische Einstellung hatte denn auch verheerende Folgen, der Vater verlor seine privilegierte Stellung, sie ging ins Ausland, die beiden haben viele Jahre lang kein Wort mehr miteinander gesprochen. Aber auch der Bruder und der Onkel hatten jeden Kontakt zu dem unbeirrbaren kommunistischen Betonkopf und Despoten abgebrochen.
Aus dieser konfliktreichen familiären Konstellation, verursacht durch den tyrannischen Vater mit seinem blinden ideologischen Kadavergehorsam, ergibt sich ein kompliziertes psychologisches Geflecht von gegenseitigen Schuldzuweisungen, erlittenen Verletzungen, Demütigungen und unbewältigten Konflikten. Dabei spielt natürlich auch die Eifersucht zwischen der Ehefrau, den beiden aktuellen Geliebten und all den verflossenen eine wichtige Rolle. Aber auch mit der Tochter gibt es aufgestaute Wut und offenen Neid der anderen Frauen, also reichlich Stoff für psychologische Tiefenbohrungen.
Im Nachwort wird das Buch als «ein auf einen inneren Monolog entblößter Roman» bezeichnet. Sprachlich umgesetzt wird der hier kurz skizzierte Erzählstoff als Prosagedicht, in dem die Ich-Erzählerin geradezu obsessiv ihre ureigensten Gefühle ausdrückt, und zwar mit einer verblüffend suggestiven Wirkung. Durch nicht über die Zeile hinaus reichende, extrem kurze Sätze ohne Interpunktion, durch Wiederholungen und Reihungen wird variantenreich ein ureigener, stakkatoartiger Sprachrhythmus erzeugt, eine sprachliche Verdichtung also, die sich, wie die Autorin im Interview erklärt hat, zur Dichtung hin orientiert. Die vielen Wiederholungen einzelner Wörter und Phrasen in diesem episch sehr breit ausgewalzten Vater/Tochter-Konflikt setzen allerdings einige Geduld beim Leser voraus. Gleichwohl wird ihm das federleicht schwebend Erzählte sehr eindringlich nahe gebracht, er wird tief mit hinein gezogen in das seelische Befinden der Tochter, die ihre Totenklage zu einer verzweifelten Anklage gegen den herzlosen, egozentrischen Vater macht.
3* lesenswert - Bories vom Berg - 19. September 2019
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