BEHZAD
KARIM KHANI
ALS WIR
SCHWÄNE WAREN
Vom
Überwintern in Deutschland
Nach dem Erfolg seines Debütromans hat der auf
Deutsch schreibende iranische Schriftsteller Behzad Karim Khani
jetzt unter dem kryptischen Titel «Als wir Schwäne waren» seinen
zweiten Roman vorgelegt. Die in der Jetztzeit angesiedelte,
autobiografisch inspirierte Coming of Age Geschichte hat als
hochaktuelle Thematik die Probleme der Migration in Deutschland zum
Gegenstand. Reizvoll daran ist die authentische Perspektive, aus der
ein jugendlicher Ich-Erzähler das Thema mit scharfem Blick für
Details sehr subjektiv angeht. Wobei das Besondere daran ist, dass
seine Probleme als Nicht-Deutscher hier nicht beklagt und bejammert
werden, sondern in unverhohlenen, gewaltbereiten Hass umschlagen.
In den 1990er Jahren ist seine Familie mit ihm
aus dem Iran geflohen und im Ruhrgebiet gelandet. Sein Vater ist
Schriftsteller, seine Mutter Soziologin. Sie wohnen in einer
Sozialwohnung in einem herunter gekommenen Hochhaus eines typischen
Problem-Viertels mit verdreckten, stinkenden Treppenhäusern und
allgegenwärtigem Müll drum herum. Die Mitbewohner sind andere Migranten aus aller Herren Länder, denen scheinbar jedes Gespür
abgeht für Sauberkeit und Ordnung. Als später auch noch zwei
Großfamilien von Sinti und Roma einziehen, zusammen fast einhundert
Personen, verschlimmert sich die prekäre Lage dramatisch. Diese mehr
als schlimmen Verhältnisse, in denen die kleine iranische Familie dort leben
muss, bessern sich auch mit der Zeit nur wenig, ihr Wohnsitz ist und
bleibt eine asoziale Müllhalde.
Auf den Straßen drum herum herrschen Zustände,
von denen sich seine gebildeten Eltern keine Vorstellung machen
können. Beginnend in der Schule erlebt der Junge eine nicht
abreißende Welle von Gewalt, unter der er besonders leidet als Kind
von Migranten. Diebstahl, Erpressung, Schlägereien sind an der
Tagesordnung, aus Frust werden Autos mutwillig beschädigt oder
angezündet, dauerndes Schulschwänzen gilt als ein nicht der Rede
wertes Kavaliersdelikt. So bleibt es nicht aus, dass der
heranwachsende Junge schon früh von seinen fragwürdigen Kumpels zu
Ladendiebstahl animiert wird, man ihm aber auch sein eigenes Fahrrad
klaut und er mit Drogen in Berührung kommt, zuerst als Junkie,
später auch als Dealer, wobei man ihn eines Tages prompt auch
erwischt. Unter diesen Umständen schafft er nur gerade so sein
Abitur, an Studium und berufliche Karriere ist nicht zu denken.
In dieser Erzählung über Migranten erfährt man
tatsächlich viel mehr über die Einheimischen, welche voller
Vorurteile die Migranten zu Außenseitern machen und mit ihrer
Fremden-Feindlichkeit das verhängnisvolle soziale Klima ja erst
selber herbeireden. Die deutlichen Hinweise des Autors auf diese
sachlich gebotene Umkehr der Schuldzuweisung prägen den Plot des
Romans thematisch ebenso wie die bisher in der deutschen Literatur
kaum thematisierte Gewalt, die daraus erwächst. Der Nährboden dafür
sind eben genau jene Verhältnisse, von denen Behzad Karim Khani in
seinem Roman authentisch berichtet. Er erzählt schnörkellos in einer
bildhaften Sprache vom grandiosen Scheitern einer - immer nach dem Motto:
«Wir schaffen das» - politisch leichtfertig herbei geredeten,
überbordenden Migration in Deutschland. Von Politik ist in diesem
Roman allerdings nicht die Rede, hier geht es einzig um die
Befindlichkeiten seiner Figuren, die nach Deutschland kamen, aber
nie wirklich angekommen sind. Berichtet wird strikt aus deren
eigener Perspektive, wobei es einzig um ihre seelische Verfasstheit
und die irreparablen mentalen Schäden geht, die atmosphärisch
bedingt daraus hervor gegangen sind, - und ja weiterhin ungebremst
daraus hervor gehen. Stärkste Figur des Romans ist übrigens der
Vater, dem der Kapitalismus völlig fremd ist und der seine Rolle
darin nur als Verlierer findet. Die titelgebenden Schwäne sollen
andeuten, dass es in dieser Spezies auch Zugvögel gibt, selbst wenn
sie mancherorts überwintern, - und der Protagonist gehört eben
eindeutig zur Zugvogel-Fraktion. Überwintern in Deutschland, das
heißt bleiben, kommt
für ihn partout nicht in Frage!
3*
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vom Berg - 14. Juni 2025

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