TONI
MORRISON
GOTT, HILF DEM KIND
Überambitioniert
und thematisch überfrachtet
Das Werk der US-amerikanischen
Nobelpreis-Trägerin Toni Morrison ist gekennzeichnet durch das Thema
Rassentrennung, so auch in «Gott, hilf dem Kind», ihrem elften
Roman. Gegenüber früheren Romanen ist sie hier stilistisch aber neue
Wege gegangen, sie arbeitet mit nicht weniger als vier
Ich-Erzählerinnen, ergänzt um eine auktoriale Passage. Im
Mittelpunkt des Plots steht ein farbiges Paar, beide Anfang zwanzig,
die auf jeweils ganz individuelle Weise psychisch geschädigt sind
durch schreckliche, rassen-feindliche Kindheits-Erlebnisse mit
Sexualtätern, die sie mental nicht verarbeiten können.
Der vierteilige Roman beginnt aus der Perspektive
von Sweetness mit der Geburt von deren Tochter Lula Ann, einem Baby,
das im Gegensatz zu Mutter und Vater tiefschwarz ist. «Sie war so
schwarz, dass es mir Angst machte», heißt es im Roman. Sie ist
fassungslos, glaubt an eine Verwechslung, will das Kind zur Adoption
freigeben. Sie selbst ist so hellhäutig, dass sie als Weiße gilt wie
auch ihr Mann, der denn auch prompt glaubt, er wäre nicht der Vater,
und wütend die Familie verlässt. Sweetness hat Probleme, mit der
Situation klar zu kommen, sie erzieht ihre Tochter zu absolutem
Gehorsam und zu einer unterwürfigen Haltung den Weißen gegenüber.
Immer nach dem Motto «Nur nicht auffallen» in einem Land, dessen
Bewohnern die Rassentrennung scheinbar unausrottbar in den Hirnen
eingepflanzt ist, aller Vernunft zum Trotz! Als Lula Ann bei einem
Prozess gegen ihre Lehrerin, die sich an Kindern vergangen haben
soll, als Zeugin aussagt, belastet sie die Angeklagte, nur um sich
wichtig zu machen und die Mutter zu beeindrucken. Eine Aussage, die
der Lehrerin eine fünfzehnjährige Gefängnisstrafe einbringt und ihr
selbst ein lebenslanges Trauma beschert. Lula Ann wächst zu einer
bildschönen Frau heran, nennt sich künftig Bride und kleidet sich
auf Anraten eines als Modeberater arbeitenden Freundes provokant nur
noch in strahlendem Weiß, was sie als Black Beauty noch attraktiver
macht. Und sie legt eine steile Karriere in einer Kosmetikfirma hin,
deren Sortiment sie kreativ erweitert, - die junge Frau fährt
fortan einen Jaguar.
Zweiter Protagonist des Romans ist neben Bride
deren Freund Booker, dessen Geschichte auktorial erzählt wird. Sein
älterer Bruder ist Opfer eines pädophilen Sexualverbrechens
geworden, das ein Weißer Mann begangen hat. Obwohl er hochbegabt ist
und erfolgreich studiert hat, hat diese Zäsur in seinen Jugendjahren
ihn seelisch vollkommen aus der Bahn geworfen. Nach einem Streit
trennt sich das Paar, und jeder versucht auf seine Weise, mit seinem
speziellen Trauma fertig zu werden. Im Roman kommen Sweetness, die
Mutter von Bride zu Wort, ferner Brooklyn, ihre beste Freundin und
Kollegin, aber auch Sofia, die zu Unrecht verurteilte Lehrerin sowie
Rain, ein von seiner Mutter an Männer vermietetes kleines Mädchen,
dass von einem weißen Ehepaar bei strömendem Regen einsam auf der
Straße aufgegabelt wird.
Rassismus ist niemals nur ein Übel bei den alten
weißen Männern, wie immer gesagt wird, im Diskurs zur «Critical
Whiteness» nimmt auch Toni Morrison deutlich dazu Stellung: «Mein
Projekt ist das Bemühen darum, den kritischen Blick vom rassischen
Objekt zum rassischen Subjekt zu wenden…» Und beweist auch in diesem
Roman wieder, dass Selbsthass als rassistisch vorgeprägtes
Bewusstsein bei den Betroffenen fest verankert ist. Sie erzählt oft
sentimental, aber stilistisch locker, und meist erhaben über ihrer
Geschichte stehend, in der abartige Sexualität eine wichtige Rolle
spielt. Die Bilder, die sie schafft, sind nicht immer überzeugend,
vor allem die kafkaeske Metamorphose von Bride zurück zu Lula Ann
irritiert denn doch. Thematisch überfrachtet, ist dieser Roman zwar
durchaus lesenswert, aber auch die gleich vierfach auftretenden,
unzuverlässigen Erzählerinnen sind des Guten zuviel, hinterlassen
sie doch allzu viele Leerstellen und falsche Fährten.
Überambitioniert und thematisch überfrachtet, leider!
3*
lesenswert - Bories
vom Berg - 24. Juni 2025

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