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MARTIN AMIS

 

INTERESSENGEBIET

 

Martin Amis - InteressengebietAnus mundi

 

Als Enfant terrible der englischen Literatur ist der erfolgreiche Schriftsteller Martin Amis schon häufig befehdet worden in seiner Heimat. Was ihm jedoch bei seinem neuesten Roman «Interessengebiet» passiert ist, das stellt zweifellos den absoluten Gipfelpunkt der Missbilligung dar. Sein Roman wurde beim deutschen Hanser-Verlag schlicht und ergreifend abgelehnt, in Frankreich bei Gallimard übrigens auch. Wenn man allerdings weiß, dass der Titel des Romans die Bezeichnung der SS für den gesamten Lagerbereich des KZs Auschwitz war, erahnt man den Sprengstoff, der diese drastischen Reaktionen bewirkt hat, der Holocaust ist - und bleibt wohl auf ewig - ein brisantes Thema. Und so fand der umstrittene Roman nur auf dem Umweg über die Schweiz zu uns. Die Aufregung erinnert mich an Jonathan Littels «Die Wohlgesinnten» und wirft natürlich auch hier die gleiche Frage auf, ob nämlich aus Tätersicht erzählte Holocaust-Romane einen fremdsprachigen Autor bedingen. Könnte, frage ich, ein dem Tätervolk angehörender, renommierter Autor, ohne einen Skandal auszulösen, ebenso locker und ironisch das Grauen als wohlfeilen Background für seine Erzählung benutzen?

 

Äußerer Rahmen der Handlung ist die Geschichte einer Liebe auf den ersten Blick, der draufgängerische Golo Thomsen, isländischer Herkunft, SS-Verbindungsoffizier zu den Buna-Werken der IG Farben, verliebt sich unsterblich in Hannah, die Frau des Kommandanten von Auschwitz, Paul Doll. In sechs Kapiteln, ergänzt um ein mit «Nachspiel» überschriebenes Schlusskapitel, entwickelt der Autor seine verstörende Geschichte, in deren Mittelpunkt im wesentlichen das KZ-Lagerleben steht, das in wechselnden Unterkapiteln aus der Perspektive der drei Ich-Erzähler Golo, dem versoffenen und überforderten Doll sowie von Szmul erzählt wird. Letzterer ist ein Häftling, der als Kapo eines Sonderkommandos fungiert, das den Vergasten die Goldplomben entfernen und die Haare abschneiden muss, um die Leichen anschließend ins Krematorium zu bringen. All dies ist schon vielfach geschildert worden, der Autor fügt dem Schreckensszenario absolut nicht Neues hinzu.

 

Eine gewisse Spannung erhält der Plot dadurch, dass die sich anbahnende Romanze des als Schwerenöter beschriebenen Golo mit Hannah natürlich hochgefährlich wäre, schließlich ist Doll als Kommandant unumschränkter Herr über Leben und Tod im Lager. Doch Golo genießt seinerseits Protektion aus Berlin, ausgerechnet Martin Bormann nämlich ist sein Onkel, Hitlers einflussreicher Privatsekretär, die graue Eminenz im Tausendjährigen Reich. Genau hier aber gleitet die Geschichte ins Kitschige ab, die Gespräche von Golo mit Onkel Martin und Tante Gerda, in denen auch deren unkonventionelles Sexleben nicht ausgespart bleibt, sind absolut unwirklich. Meist drehen sich die in einem besonderen Lagerjargon gehaltenen Gespräche um die Logistik des Todes, um ökonomische Probleme, um die wenigen Veranstaltungen, die für die Offiziere Abwechslung in das trostlose Lagerleben bringen, und - abstoßend vulgär - um Frauen natürlich. Der Jude Szmul wiederum fungiert als moralische Instanz, er will heimlich notieren, was im Lager wirklich passiert, er will der Nachwelt damit Zeugnis ablegen über das Unsagbare, das doch so unsäglich erscheint.

 

Die Liebesgeschichte inmitten des Grauens hat einen unerträglich bitteren Beigeschmack, auch wenn uns Lesern ein Happy End erspart bleibt. Das Figurenensemble verkörpert allzu klischeehaft jene scheußlichen Menschentypen, die eine solch extreme Ausnahmesituation auszuformen imstande ist. Die fiktionale Überhöhung impliziert eine Verharmlosung, die mir unerträglich erscheint angesichts des historischen Geschehens. Als Satire im Stil von Monty Python ist der Roman jedenfalls rettungslos missglückt, eventuell vorhandene moralische Absichten werden damit auf böse Art konterkariert. Und ohne Auschwitz, im Lagerjargon Anus mundi, soviel ist auch sicher, wäre «Interessengebiet» ein Schundroman, der kaum jemanden interessiert.

 

1* miserabel - Bories vom Berg - 14. März 2016

 

 

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