IM LICHTE DER
VERGANGENHEIT
In seinem neuesten Roman «Im Lichte der Vergangenheit» erzählt der irische Schriftsteller John Banville aus der Perspektive eines älteren Mannes, der auf sein Leben zurückblickt und merkt, wie fragwürdig seine Erinnerung ist, ein dramaturgisches Verfahren, das sich auch in anderen Romanen von ihm findet. Im Schatten seiner großen irischen Kollegen James Joyce und Samuel Beckett stehend, wird der mit renommierten Buchpreisen ausgezeichnete Autor von Literatur-Insidern zuweilen auch als Nobelkandidat angesehen. Mit Recht?
«Billy Gray war mein bester Freund, und seine Mutter war meine erste Liebe» lautet der für die Rezeption wichtige erste Satz. In vielen Werken Banvilles ist der Einfluss von Vladimir Nabokov unverkennbar, in diesem Roman hier wird das deutlich schon im Sujet, der Liaison eines altersmäßig ungleichen Paares nämlich, allerdings in konträrer Konstellation zur berühmten Vorlage. Theaterschauspieler Alex Cleave, der sich schon in den Ruhestand zurückgezogen hat, erinnert sich an seine Zeit als fünfzehnjähriger Junge, der eine intime Beziehung zu einer zwanzig Jahre älteren Frau hatte. Das halbe Jahr dieser leidenschaftlichen Affäre, die abrupt beendet wird, als die Beiden in flagranti von Kitty, der Tochter Mrs Grays, überrascht werden, diese sein Leben prägende Episode zieht sich in fortschreitend erzählten Rückblenden durch den ganzen Roman, sie bildet quasi das Gerüst des Plots. Ebenfalls in diversen Fragmenten erinnert sich der Ich-Erzähler immer wieder auch an seine psychisch kranke Tochter Cass, die vor zehn Jahren als Schwangere in Italien Selbstmord beging. Als Alex, für einen reinen Theatermann ziemlich überraschend, das Angebot bekommt, die Hauptrolle in einem Spielfilm zu übernehmen, trifft er am Set auf den berühmten Filmstar Dawn Devonport, die die weibliche Hauptrolle spielt. Vor Abschluss der Dreharbeiten unternimmt der Star einen Suizidversuch, Alex fährt deshalb mit ihr für einige Tage nach Italien, als Reha gewissermaßen, den Spuren seiner suizidalen Tochter folgend.
Banville legt bewusst falsche Fährten an in seiner Geschichte, so zum Beispiel, dass Cass in Italien einen gewissen Swidrigailow getroffen hat, dann vermutet er, es könnte auch der Literaturkritiker Alex Vander gewesen sein, der Mann, dessen Rolle sein Protagonist in dem Film spielt. In den Cinque Terre trifft der Romanheld auf einen geheimnisvollen Mann, der auf ihn gewartet zu haben scheint, auch das eine falsche Fährte. Als er zu einer Festveranstaltung für Alex Vander eingeladen wird, sinniert sein Held: «Ich gehe nach Amerika. Ob ich dort Swidrigailow suchen soll? JB und ich werden zusammen reisen, kein ideales Paar, ich weiß». Der Autor bezieht sich also selbst mit ein, und auch seinen Leser lässt er teilhaben an der Genese seines Textes, spricht ihn direkt an, ein mir persönlich sehr sympathisches Stilmittel, das eine intime mündliche Erzählsituation simuliert. Wie brüchig Erinnerungen sind, «im Lichte der Vergangenheit» betrachtet, wie der Titel es ja vorgibt, das klärt sich am Ende, als Kitty erzählt, wie es wirklich war damals, der Eklat mit ihrer Mutter.
Das Besondere an diesem anspielungsreichen Roman mit seinen vielen Querverweisen und intertextuellen Bezügen ist für mich die mit stimmigen Metaphern und klugen Reflexionen gleichermaßen brillierende Sprache, in der er geschrieben ist, genau beobachtend, äußerst detailreich, gleichwohl im Plauderton, oft auch launig, mit kreativen Wortbildungen erzählt. «Wie herrlich, jung zu sein und frisch gebeichtet» heißt es da zum Beispiel nach der Initiation des jungen Helden und seinem reuevollen Kirchenbesuch. Ein Mann wird beschrieben als «Albert Einstein in mittleren Jahren, in seiner präikonischen Periode». Die kongeniale Übersetzung hat einen wesentlichen Anteil an dem sprachlichen Fest, das die Lektüre dieses Romans für den geduldigen und aufnahmefähigen Leser bedeutet. Ob für die Herren in Stockholm auch, das bleibt abzuwarten.
4* erfreulich - Bories vom Berg - 14. Februar 2015
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