NATASHA
BROWN
ZUSAMMENKUNFT
Fataler
Mix aus Rasse, Klasse und Geschlecht
In England gilt der Roman «Zusammenkunft» der
studierten Mathematikerin Natasha Brown als erfolgreichstes Debüt
des Jahres 2021. Er wurde von Jackie Thomae kongenial ins Deutsche
übersetzt und thematisiert den Rassismus aus einer völlig
ungewohnten Perspektive. Die namenlose Protagonistin ist entgegen
aller Klischees eben keine unterprivilegierte farbige Frau, die sich
vergeblich abmüht, sich den Weg nach oben in eine bessere Zukunft zu
erkämpfen. Stattdessen hat hier die Heldin «Oxbridge» absolviert,
arbeitet in der Londoner Bankenszene in den obersten Etagen der
Hierarchie, mit dementsprechend üppigen Bezügen natürlich. Sie hat
es eigentlich doch geschafft, müsste froh und glücklich sein, oder?
Den steilen Aufstieg hat die junge Frau in London
nur mit harter Arbeit, eisernem Durchhalte-Vermögen und absoluter
Hintanstellung aller privaten Wünsche und Ziele geschafft. Nun, da
sie dort angekommen ist, wo sie partout hinwollte, beginnen ihre
Zweifel. Dient sie ihrer Firma etwa nur als Aushängeschild für
ethnische und gender-bezogene Diversität? Waren all die Mühen das
denn wirklich wert? Nach ihrer aktuellen Beförderung stellt sie
ernüchtert fest, dass ihr hierarchisch gleichgestellter, neuer
weißer Kollege gleichwohl von ihr erwartet, dass sie den Kaffee
kocht, dass sie den Flug nach New York für ihn bucht, weil er nun
mal in seinem Wochenend-Urlaub mit Familie einfach keine Zeit dafür
habe. Und plötzlich schwebt auch noch kurzzeitig das
Damokles-Schwert einer möglichen Krebserkrankung über der
Ich-Erzählerin. Ihr schnöseliger Freund gehört zur britischen
Upperclass, eine Familie «mit Geld so alt und dreckig wie das
Empire». Er genießt seinen leistungslosen Wohlstand und wird mit all
seinen Beziehungen mühelos eine politische Karriere machen, wenn er
denn will, was gar nicht so sicher ist. Mit der Einladung seiner
Eltern zu einer pompösen Gartenparty mit illustren Gästen wachsen
ihre Zweifel. Soll sie sich wirklich den Demütigungen aussetzen, die
sie dort sicherlich erwarten werden, wenn nicht gar möglichen
Aggressionen? Vor dem Beginn des Festes zieht sie sich auf eine nahe
gelegene Bergwiese zurück. «Warum leben?» fragt sie sich grübelnd,
«Warum mich weiterhin ihrem reduzierenden Blick aussetzen? Diesem
vernichtenden Objektsein. Warum meine eigene Entmenschlichung
dulden?»
Trotz ihrer beruflichen Karriere kann die Heldin
als farbige Frau also der latenten Ungerechtigkeit nicht entkommen,
dem schlimmen Erbe der Kolonial-Geschichte nicht entfliehen. Sie ist
als Karrieristin im Sektor der Hochfinanz ein Fremdkörper in einer
fast ausnahmslos männlichen Domäne, und sie wirkt als Farbige mit
Migrations-Hintergrund in der konservativen gesellschaftliche
Oberklasse so exotisch wie einst der Mohr an den Fürstenhöfen der
Feudalzeit. Junge Frau, Farbige auch noch und triumphal
Erfolgreiche, dass ist zu viel der Zumutungen für die bessere
Gesellschaft. Soziale Flexibilität und Durchlässigkeit der Klassen
bleiben jedenfalls reine Utopie, da sie nur vordergründig erkennbar
und wirksam sind, sich aber als fest verankerte Denkmuster nie
wirklich haben etablieren können.
In einem quasi post-postmodernen
Stil mit vielen inneren Monologen entwickelt die Autorin ihre
unkonventionellen Gedanken zu einem nicht bewältigten Thema, dem
leidigen, scheinbar unausrottbaren Rassismus. Vieles reißt sie dabei
nur an, buchstabiert ihre Reflexionen nicht durch bis zur letzten
Konsequenz, wohl um dem Vorwurf auszuweichen, ihr Thema allzu
theoretisch zu entwickeln. Ihre minimalistische Verdichtung des
Stoffes, in der sie sich zum Beispiel über das kollektive Gedächtnis
der britischen Gesellschaft äußert, wird in der gewählten
unkonventionellen, schon fast irrealen Erzählform den beabsichtigten
realen Aussagen kaum gerecht. Auch die emotionslosen Figuren bleiben
schemenhaft unwirklich in den Erzähl-Vignetten dieses wenig
überzeugenden Romans über einen fatalen Mix aus Rasse, Klasse und
Geschlecht.
2*
mäßig -
Bories vom Berg - 23. April 2022
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