JOSHUA
COHEN
DIE NETANJAHUS
Persiflage
über unausrottbare Aversionen
Der amerikanische Schriftsteller Joshua Cohen hat
für seinen Campusroman «Die Netanjahus» mit dem Untertitel «oder
vielmehr der Bericht über ein nebensächliches und letztendlich sogar
unbedeutendes Ereignis in der Geschichte einer sehr berühmten
Familie» den Pulitzerpreis für das Jahr 2022 erhalten. Erzählt wird
eine groteske Geschichte, die literarisch auf der Höhe des
vergleichbaren Romans «Pnin» von Wladimir Nabokov angesiedelt ist.
Anders als im Pnin ist hier aber der Held ein realitätsverhafteter
jüdischer Geschichtsprofessor, der intelligente Chaot aber ein
israelischer Bewerber um eine Professur. Ernste Thematik hinter dem
erzählerischen Witz in diesem Roman sind die
antisemitischen Ressentiments in den USA,
der jüdische Selbsthass und die Israelkritik. In einem langen, mit
«Abspann & Gastauftritte» betitelten Nachwort erläutert der Autor
die realen Hintergründe seiner auf einer wahren Begebenheit
beruhenden Geschichte. Denn tatsächlich hat der Vater des heutigen,
heftig umstrittenen israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu sich
einst vergeblich an einer amerikanischen Uni beworben, - der Rest
aber ist Fiktion!
Der Historiker Professor
Ruben Blum ist der einzige Jude am Corbin College nördlich von New
York, in einer öden, ländlichen Gegend. Er ist ein gutmütiger Mensch
und lebt mit seiner Frau und der zum Studium angemeldeten, klugen
und sehr selbstbewussten Tochter in der Diaspora. Er hat sich nicht
geweigert, auf Wunsch seines Dekans, der das als ironischen Gag
sieht, bei der jährlichen Feier ausgerechnet als Jude die Rolle des
christlichen Weihnachtsmanns zu übernehmen. Und so kann er es im Winter
1959-1960 auch nicht ablehnen, einen
jüdischen Bewerber bei seinem Besuch zu einer Probe-Vorlesung zu
empfangen und zu betreuen. Zu seiner Überraschung steigt Netanjahu
bei heftigem Schneefall nicht allein aus seinem klapprigen Auto, es
sind gleich fünf Personen, mit ihm seine Frau und drei Söhne im
Teenager-Alter.
Und damit ist die
häusliche Idylle bei den Blums mit dem zum Empfang liebevoll
angerichteten Büffet dahin. Die Netanjahus schleppen mit ihren
Schuhen und Mänteln Schnee herein, der das Parkett ruiniert, fallen
wie die Wilden über das Büffet her, lümmeln sich in den
Postersesseln herum und glotzen staunend auf den neuen Fernseher,
der einer der ersten ist mit Farbe. Die Uni hat nur ein Einzelzimmer
reserviert, und als Netanjahus Frau mit dem ausgebuchten Hotel
telefoniert, beschimpft sie die Frau von der Rezeption und
verzichtet schließlich wütend auf das Einzelzimmer. Die Blums müssen
sich auf das Schlimmste vorbereiten, den fünf Netanjahus nun auch
noch Logis anzubieten. Als Blum und Netanjahu mit ihren Frauen
spätabends von der Probe-Vorlesung und dem nachfolgenden Empfang
zurückkommen, ist der neue Fernseher zertrümmert und das Zimmer total
verwüstet. Auf der Treppe kommt ihnen der älteste Sohn nackt und mit
erigiertem Penis entgegen, und die sonst so brave Tochter tritt
ungeniert ebenfalls nackt aus ihrem Zimmer heraus, - das Chaos ist
perfekt.
Der Roman
lebt einerseits von seinem ironischen, satirischen Ton, der das
Lesen zum reinen Vergnügen macht, auch wenn es zuweilen
slapstickartig zugeht. Und dabei werden bewusst keine Klischees
ausgespart, mit denen jüdisches Leben ja so reichlich gesegnet ist,
sie werden vielmehr ins Groteske hinein gesteigert. Andererseits,
und das macht diesen Campus-Roman auch zum intellektuellen
Vergnügen, werden das Judentum,
jüdische Diaspora
und der Zionismus in erregten Disputen und kritischen Betrachtungen
geistvoll hinterfragt. Stilistisch brillant und gekonnt Witz und
Intellekt miteinander verknüpfend prallen die radikalen politischen
Thesen Netanjahus auf die betont zurückhaltenden, eher versöhnlichen
Positionen von Ruben Blum. Eine ironische, oft sogar zynische
Persiflage über unausrottbare Aversionen biblischen Ausmaßes, die
oft schon an der Frage scheitern, was genau einen Menschen denn zum
Juden macht.
5*
erstklassig - Bories
vom Berg -10. Oktober 2024
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