BABEL
Nach zwei Gedichtbänden hat die deutsche Altorientalistin und Ethnologin Kenah Cusanit ihren ersten Roman unter dem Titel «Babel» veröffentlicht, der es auf Anhieb unter die fünf Nominierten für den Preis der Leipziger Buchmesse 2019 geschafft hat. Als interessantes Sujet hat sie dafür, - bei ihrem wissenschaftlichen Hintergrund naheliegend -, die Grabungen des Archäologen und Architekten Robert Koldewey im Jahre 1913 in Mesopotamien gewählt. Ein Forscher, der zu Unrecht im Schatten Heinrich Schliemanns stehend mit dem titelgebenden biblischen Babylon nicht weniger als die Wiege der monotheistischen Religionen ausgegraben hat, die erste Großstadt der Antike, Ort eines zivilisatorischen Aufbruchs, der weit über den Orient hinaus reichte.
Der Protagonist blickt gedankenverloren, auf der Fensterbank seines Arbeitszimmers liegend, auf den Euphrat, der träge an den Ruinen Babylons vorbeifließt. Koldewey hat Schmerzen, er vermutet nach Lektüre eines medizinischen Fachbuchs eine Blinddarmreizung und verordnet sich selbst Rizinusöl zur Linderung. Schon auf der ersten Seite des Romans finden sich all die Stichworte, die den Leser freudig einstimmen auf die archäologische Thematik. Der in der Bibel erwähnte Nebukadnezar II nämlich, Ischtartor, Prozessionsstraße, Palast, - und der berühmte biblische Turm natürlich. Als bekannteste Funde, um nicht zu sagen räuberische Ausbeute, der deutschen Grabungsarbeiten jener Zeit sind heute im Pergamon-Museum in Berlin das Ischtartor und die Prozessionsstraße zu sehen. In mehr als 500 Kisten stapeln sich im Hof des Grabungsgebäudes farbige Reliefziegel zum Abtransport nach Deutschland, der orientvernarrte Kaiser Wilhelm II fördert die Grabungen großzügig, man steht im Wettbewerb mit Engländern und Franzosen um die Ehre als erfolgreichste Expedition im Zweistromland. Argwöhnisch beobachtet das Osmanische Reich die Ausländer bei ihrer merkwürdigen Obsession für die tief im Wüstensand versunkenen Ruinen, die Grabungsarbeiten werden allzu oft durch bürokratische Hürden behindert. Auf eine Genehmigung muss man da zuweilen schon mal fünf Jahre warten, alles ist orientalisch umständlich und kleinlich reglementiert.
Akribisch listet die Autorin in ihrem Roman viele Details der mühevollen Grabungen auf, schickt die Leser durch die freigelegten Strassen und Plätze der für antike Verhältnisse riesigen, biblischen Stadt. In die praktische, rein mechanische Tätigkeit des Ausgräber-Teams mit all den aus der Heimat angeforderten Berichten und den oft unsinnigen Anordnungen der preußischen Museumsverwaltung werden umfangreiche kritische Reflexionen über die biblische Geschichte eingeflochten. Deren Wahrheitsgehalt wird mit jeder neuen Entdeckung immer deutlicher widerlegt. Im politischen Ränkespiel zwischen den beteiligten Nationen der Ausgräber und den sich neu formierenden Staaten in dieser Region kommt der unkonventionellen englischen Forschungsreisenden Gertrude Bell eine wichtige Vermittlerrolle zu. Als geschickte politische Strippenzieherin verdankt Koldewey ihr letztendlich, dass nach Ende des Ersten Weltkriegs seine über 500 Kisten als Trophäe mit dem Schiff heil nach Deutschland gelangen und damit seinen Entdeckerruhm begründen. Zu einer Begegnung der Beiden kommt es trotz entsprechender Ankündigungen im Roman jedoch nicht.
In seiner Überfülle an archäologischen Details und theologischen Reflexionen kommt das Narrative eines Romans hier entschieden zu kurz, man liest ein amüsant angereichertes, rhapsodisch angelegtes Sachbuch, kein stilistisch gelungenes - und schon gar nicht buchpreiswürdiges - Werk der Belletristik. Dafür ist es viel zu uninspiriert geschrieben, handlungsarm, teilweise sogar unlogisch, es fehlt ein roter Faden. Zudem ist es oberlehrerartig belehrend und kaum unterhaltend, seine Figuren bleiben völlig konturlos, die anfänglich so vielverheißende Lektüre gerät auch durch ihre unerträglich vielen Wiederholungen sehr schnell zur öden Lesequal.
1* miserabel - Bories vom Berg - 4. Mai 2019
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