NURUDDIN FARAH
MAPS
Wenn der Leser nicht zum Buch passt
Einer der bedeutendsten Schriftsteller Afrikas ist der
Somalier Nuruddin Farah, dem mit seinem 1986 erschienenen Roman «Maps», erster
Teil einer Trilogie unter dem Titel «Blood in the Sun», auch international der
Durchbruch gelang. Eine moderne Literatur entwickelte sich in seinem Heimatland
erst mit der Verschriftung seiner somalischen Muttersprache im Jahre 1972, die
in Folge dann eine Niederschrift der - bis dahin ausschließlich mündlich
tradierten - Volksgeschichten überhaupt erst ermöglicht hat. Bis auf eine
Ausnahme ist das umfangreiche Œuvre des Autors, der wegen politischer
Verfolgungen auch viele Jahre seines Lebens im Exil verbracht hat, deshalb auf
Englisch veröffentlicht worden. Seine Thematik in vielen Werken ist die
Situation der Frau in seiner Heimat, ferner die soziale Verantwortung des
Menschen sowie Fragen seiner Autonomie in der modernen Gesellschaft, wobei
Somalia stets den geografischen und damit auch politischen und soziologischen
Hintergrund seiner Erzählungen bildet. «Maps» nun fand sogar Aufnahme in die
Süddeutsche Zeitung Bibliothek der hundert besten Romane des 20. Jahrhunderts,
mit Recht?
In einer Hütte in Ogaden, einem von Äthiopien 1977/78
annektierten somalischen Gebiet, findet Misra, eine junge verwitwete Dienstmagd,
ein neugeborenes Kind, dessen Mutter bei der Geburt gestorben ist. Sie wird die
Ziehmutter des Säuglings und entwickelt eine geradezu symbiotische Beziehung zu
Askar, die Beiden lieben sich abgöttisch. Als er erwachsen ist, zieht Askar zu
Verwandten in die Hauptstadt Mogadischu, kann sich aber nicht entscheiden, ob er
nun studieren oder der somalischen Freiheitsbewegung beitreten soll. Plötzlich
taucht Misra dort auf, denunziert und verfolgt als Verräterin, Askar jedoch
verhält sich abweisend, kann ihr nicht glauben. Auch als sie tatsächlich
ermordet wird, bleibt er seltsam unberührt, nimmt nicht mal an der Trauerfeier
teil.
Die vom Plot her extrem knappe Geschichte ist verstörend in
ihrer polarisierenden Darstellung, im ersten Teil eine geradezu idealisierte
Liebe, überirdisch erscheinend wie ein Geschenk des Himmels, im zweiten Teil die
abrupte Sprachlosigkeit des Protagonisten, der Wegfall jedweder Empathie. In
einer streng patriarchalischen Gesellschaft verkörpert Misra das Mütterliche,
das typisch Weibliche. Weitgehend rechtlos in eine untertänige Rolle als Magd
gedrängt, dient sie gleichzeitig dem Priester und dem Nachbarn als Sexualobjekt.
Darüber hinaus aber ist sie eine Art Seherin mit tief reichendem Wissen, die
Natur und alles Menschliche betreffend. Ihre Intuition ist in diesem Roman dicht
verwoben mit Reflexionen und Träumen, denen der Autor in epischer Breite den
allergrößten Teil seiner poetischen Geschichte um menschliche Bindungskräfte und
innere Autonomie widmet. Die spärliche Handlung einschließlich des Ogadenkriegs
scheint dagegen nebensächlich zu sein, auch wenn der auf Grenzziehungen
anspielende Titel des Romans etwas anderes suggeriert.
Metaphernreich lässt der Autor den Leser an der inneren
Entwicklung seines Protagonisten teilnehmen, ein Ausflug in surreale Welten
gewissermaßen, ohne dass sein Held uns dadurch wirklich sympathisch wird. Die
Sprache ist blumenreich, Farah erzählt all das recht eigenwillig aus drei
ständig wechselnden Perspektiven, dem Ich-Erzähler nämlich steht kapitelweise
ein Du-Erzähler und ein auktorialer Erzähler gegenüber, ohne dass ein tieferer
Sinn dahinter erkennbar wäre. Das Ganze wird leider schnell sterbenslangweilig,
als Lesefrucht bleibt dem Leser allenfalls der den Horizont erweiternde Einblick
in die Geschichte Somalias, eines Landes, das den meisten nur als Tummelplatz
moderner Piraten bekannt sein dürfte. Das Menstruationsblut und andere
Körperflüssigkeiten jedoch, von denen so oft die Rede ist in diesem Roman,
dürften dank wohltuend selektivem Gedächtnis hoffentlich bald vergessen sein.
Hier, so mein Resümee, passte ich als Leser partout nicht zum Buch.
2*
mäßig - Bories vom Berg - 06. Januar 2017
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