MEINE GENIALE FREUNDIN
Der Hype um die unter Pseudonym schreibende italienische Schriftstellerin Elena Ferrante hat nun auch Deutschland erreicht, als erster Band in ihrem vierteiligen Romanzyklus erschien jüngst der Titel «Meine geniale Freundin». Die wilden Spekulationen der Medien über die Identität der Autorin sind für die Auflage mindestens ebenso förderlich wie die Verbindung der einzelnen Bände dieser Tetralogie durch Cliffhanger. Die in den USA besonders durch Kritikerpapst James Wood hochgepushte Rezeption ist in Deutschland zwar weniger euphorisch, Bestsellerstatus aber hat der Roman mühelos auch hier erreicht. Ein literarisches Meisterwerk, wie der Buchumschlag dem Leser verheißt, ein Literaturwunder gar?
Dieses neapolitanische Epos zweier Freundinnen wird von einer der beiden, Elena (sic!) genannt Lenù, aus einem Abstand von etwa sechzig Jahren erzählt. In einem kurzen Prolog erfahren wir, dass ihre Freundin aus Kindertagen, Lila, spurlos verschwunden ist, der Sohn sucht nach ihr. Spontan setzt sie sich an den Computer und beginnt ihre Geschichte aufzuschreiben «mit allen Einzelheiten, mit allem, was mir in Erinnerung geblieben ist». In zwei Kapiteln erzählt die Ich-Erzählerin aus dem Leben der Mädchen in einem der ärmsten Vierteln Neapels, sie beide eint der Wunsch, diesem prekären Milieu zu entfliehen. Was ihnen auch gelingt, bei jeder auf unterschiedliche Art allerdings. Sie entkommen nämlich ganz klassisch, durch Bildung und Heirat, dem Albtraum eines ihnen vorgezeichneten, archaischen Frauenlebens in den Slums von Neapel. Ein Entwicklungsroman mithin, beginnend bei der frühesten Kindheit und endend mit der alle Klischees bedienenden, pompösen und turbulenten Hochzeit der sechzehnjährigen Lila. Von Herkunft gleich, unterscheiden sich die beiden Busenfreundinnen grundlegend in ihrem Wesen. Während Lenù von einer Karriere als Autorin träumt, fleißig und brav in der Schule durch Leistungen glänzt, entsprechend gefördert wird und sogar aufs Gymnasium kommt, ist Lila hochintelligent, ein Wunderkind, Lenù geistig weit überlegen, aber so unangepasst und sprunghaft, dass sie scheitern muss, als unbezahlte Arbeitskraft in der Schumacherwerkstatt ihres Vaters landet und zuletzt, ganz konventionell und gegen ihre Art, den reichen Sohn des Lebensmittelhändlers heiratet.
Konventionell wird auch diese Geschichte erzählt, geradezu brav einsträngig, chronologisch, in einer klaren, leicht lesbaren Sprache, und zwar aus einer strikt feministischen Perspektive, - die Frauen dominieren in diesem breit angelegten Sittengemälde, alle Männer sind nur Randpersonen. Das Figurenensemble des Romans ist ziemlich üppig ausgefallen, was trotz vorangestellter Personenliste die volle Aufmerksamkeit des Lesers fordert. All diese vielen Charaktere sind stimmig beschrieben, die beiden in ständiger Konkurrenz zueinander stehenden Protagonistinnen werden psychisch geradezu durchleuchtet bei ihrem pubertären Selbstfindungsprozess, sympathisch allerdings werden sie dem Leser leider nicht.
Zweifellos ist dieser Roman gekonnt aufgebaut, man hat aber das Problem, dass er Fragment bleibt. Als Cliffhanger dient hier das Entsetzen Lilas, als ihr verhasster Ex uneingeladen auf ihrer Hochzeit auftaucht und dabei auch noch die Schuhe trägt, die sie mit ihrem Bruder mühsam von Hand gefertigt hat, ein unglaublicher Affront, der bei Lilas Naturell nicht ungesühnt bleiben wird, - aber bis zum Band vier fehlen noch etwa 1300 Seiten, man muss Geduld haben. Das wortreiche Geplapper der Autorin über Belangloses, Unwichtiges, verschärft durch viele Wiederholungen, löst schnell Langweile aus, man erkennt nicht recht, wozu man all diese Banalitäten denn lesen muss. Besonders nervig fand ich die irgendwann unerträglich werdende Lobhudelei der Ich-Erzählerin über ihre schulischen Leistungen, man fragt sich, ob da nicht etwa eine echte Elena durchschimmert hinter der Romanfigur. Genial, so mein Fazit, ist nur das Marketing der Verlage, nicht dieser Roman.
2* mäßig - Bories vom Berg - 18. Dezember 2016
® Schriftliche Danksagung eines Lesers
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