JOSTEIN GAARDER
SOFIES WELT
Gegen den Dornröschenschlaf des Alltagslebens
Der Roman «Sofies Welt» bringt seine Leser ziemlich listig,
quasi durch die Hintertür dazu, sich intensiv mit einem Sachbuch über die
Geschichte der Philosophie zu beschäftigen. Man könnte dem norwegischen Autor
Jostein Gaarder also mit Recht einen Etikettenschwindel vorwerfen, denn welcher
andere Roman noch, und als ein solcher ist dieses Buch ja deklariert, hat denn
ein derart umfangreiches Sach- und Namensregister, 16 engbedruckte Seiten?
Pädagogen, und Gaarder ist einer, müssen manchmal eben notgedrungen zu
derartigen Tricks greifen, um Interesse für ihr spezielles Thema zu erwecken. In
diesem Fall also, um Menschen aus dem «Dornröschenschlaf des Alltagslebens» zu
reißen, wie es gleich am Anfang dieses Buches mal so schön und treffend heißt,
um sie für Philosophie zu interessieren, vielleicht sogar zu begeistern. Und das
ist ihm grandios gelungen, sein 1991 erschienenes Buch hat, inzwischen übersetzt
in viele Sprachen, schnell absoluten Bestsellerstatus erreicht mit mehr als 40
Millionen verkauften Exemplaren. Ganz so dröge und denkfaul scheint das Publikum
also doch nicht zu sein, - das lesende zumindest!
Bestimmt hat noch ein zweiter Kniff des Autors nicht
unwesentlich zur Popularität seines Buches beigetragen, denn es orientiert sich
in Sprache und wissenschaftlichem Gehalt am erwartbaren Verständnis-Horizont
jugendlicher Leser, für diese Zielgruppe wurde es eigentlich auch geschrieben.
Es tauchen da immer wieder mal altbekannte Gestalten in der Geschichte auf, so
werden beispielsweise Rotkäppchen, die Gans von Nils Holgerson oder das Mädchen
mit den Schwefelhölzchen in die Geschehnisse mit einbezogen. Dadurch wird die
eigentliche Thematik kein bisschen geschmälert, es geht knallhart um Philosophie
auf Hunderten von Seiten dieses dicken Buches, die Märchenelemente lockern den zu
vermittelnden Stoff aber gehörig auf, sie dienen zuweilen sogar modellhaft der
Verdeutlichung bei verzwickten Fragen. Und die gibt es reichlich, immer nach dem
Motto: Wer nicht fragt bleibt dumm!
Ein Blick ins umfangreiche Inhaltsverzeichnis zeigt, dass von
den frühen Mystikern und Naturphilosophen bis hin zum Existentialismus alle
wichtigen philosophischen Strömungen und deren bedeutendste Vertreter in
chronologischer Folge abgehandelt werden, immer im Kontext der historischen
Gegebenheiten. Vom Leser wird da volle Aufmerksamkeit gefordert. Hoch
anzurechnen ist dem Autor, dass er sein Thema immer auch mit Seitenblicken auf
andere Disziplinen wie Astrophysik, Biologie oder Psychologie, schließlich aber
auch auf soziologische und technologische Entwicklungen der Neuzeit abhandelt.
Die Rahmengeschichte hingegen, das Romanhafte also, ist an sich banal und würde
allein den Leser nicht fesseln, mich haben speziell die langen Dialoge von
Lehrer und altkluger, nur als Stichwortgeber fungierenden Schülerin als total
unrealistisch gestört. Gleichwohl, damit wird die komplexe Fülle von
Informationen und Fakten aufgelockert, was einen nicht unwesentlichen Beitrag
zur wahrhaft erfreulichen Rezeption dieses Werkes geleistet haben dürfte.
Literarisch raffiniert allerdings ist der Aufbau des Plots
mit zwei ineinander verschachtelten Handlungsebenen, in deren äußerer es um ein
Buch mit dem Titel «Sophies Welt» geht, geschrieben von einem UN-Major im
Libanon als Geburtstagsgeschenk für seine Tochter Hilde, deren innere Ebene aber
eben jener Philosophie-Kursus von Sofie ist, der als Kern des Ganzen ja der
eigentliche Inhalt des Buches ist. Diesen informativen Kurs hat man übrigens en
passant komplett gelesen am Ende, wodurch wir Leser, so ist zu vermuten, alle
miteinander nicht dümmer geworden sind. Denn welcher Normalleser verfügt schon
über derart umfassendes philosophisches Wissen, dass ihm das Buch wirklich
nichts mehr bringt? Gaarder treibt seine Fiktion auf die Spitze, wenn er,
nachdem Hilde «Sophies Welt» ganz gelesen hat, deren beide Protagonisten Alfredo
und Sofie gleichwohl weiter agieren lässt, dem «inneren» Buch und seinem Ende
quasi entsprungen, als Geister sozusagen, die natürlich unsichtbar sind für alle
anderen Menschen. Schön, dass es solche Bücher gibt, kann ich abschließend nur
sagen!
4* erfreulich
- Bories vom Berg - 20. Mai 2014
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