NADINE GORDIMER
NIEMAND, DER MIT MIR GEHT
Nichts Halbes und nichts Ganzes
Der Grande Dame der südafrikanischen Literatur wurde 1991 der
Nobelpreis verliehen, «für ihre epische Dichtung, die der Menschheit einen
großen Nutzen erwiesen hat und durch die tiefen Einblicke in das historische
Geschehen dazu beiträgt, dieses Geschehen zu formen.» Nadine Gordimer und ihr
umfangreiches Œuvre sind geradezu ein Synonym für den Kampf gegen die Apartheid,
als liberale Weiße hat sie ihr Leben lang gegen die Diskriminierung der
schwarzen Bevölkerung angeschrieben, ohne sich jedoch als Propagandistin
politisch vereinnahmen zu lassen. Insoweit ist auch der Roman «Niemand, der mit
mir geht» für ihre Art zu schreiben typisch, wobei sich mir nach der Lektüre die
Frage aufdrängt, ob hier Gordimers spezielle Thematik - ihre Heimat und deren
politisches Unrechtssystem - geehrt wurde oder ihre literarische Kunst. Letztere
nämlich fand ich vor Jahren schon, in dem Erzählband «Clowns im Glück», bereits
wenig überzeugend, und daran hat dieser Roman leider auch nichts ändern können.
Vera Stark, nomen est omen, ist die toughe Protagonistin in
diesem Plot, der in den privaten Konflikten seiner Figuren die brutale
Rassentrennung Südafrikas und ihre verheerenden Folgen spiegelt. Sie ist als
weiße Juristin erfolgreich in einer Stiftung tätig, wo sie im Streit zwischen
den besitzlosen Schwarzen und den burischen Farmern engagiert vermittelt und
dabei ihr Privatleben völlig hintanstellt. Ihr Mann Ben scheitert beruflich, sie
trennt sich am Ende von ihm. Eine weitere starke Frau ist die Schwarze Sibongile,
deren Mann als Held des Widerstands im neuen System nicht mehr gebraucht wird,
während seine Frau politisch schnell aufsteigt. Beide Frauen erleben den
allgegenwärtigen Terror dieser politischen Übergangszeit hautnah, Vera wird bei
einem Überfall angeschossen, Sibongile steht auf einer Todesliste und fühlt sich
ihres Lebens nicht mehr sicher. Veras private Probleme, die Scheidung ihres
Sohnes, das Coming-out ihrer lesbischen Tochter, die Entfremdung von ihrem
einstigen Liebhaber und zweiten Mann münden in einer Einsamkeit, die sie
letztendlich als Preis für ihr unbeirrtes Engagement akzeptiert, das ihr
andererseits aber auch zur ersehnten persönlichen Freiheit verhilft. Gleichwohl
ist dies ein Roman des Scheiterns, beide Paare kommen mit den weitreichenden
politischen Umbrüchen nicht zurecht.
Ihrer selbst gewählten Rolle als Seismograph der Apartheid
kommt die Autorin im vorliegenden Roman also dadurch nach, dass sie aufmerksam
deren Erschütterungen registriert und literarisch weiterverarbeitet im Schicksal
ihrer diversen Figuren. Der handlungsarmen Geschichte jedoch, die da erzählt
wird, mangelt es an Spannung selbst in den wenigen dramatischeren Szenen. Einen
weiten Raum nehmen demgegenüber endlos scheinende, langweilige Schilderungen der
diversen Komitees, Ausschüsse und Kongresse ein. Die allesamt auch noch sehr
oberflächlich bleiben, uns Leser also nicht wirklich hinter die Kulissen der
Macht blicken lassen, - immerhin rangieren ja beide Heldinnen weit oben in der
politischen Hierarchie, Vera am Ende sogar im verfassungsgebenden Komitee. Ich
vermute hier mal, dafür fehlte der Autorin ganz einfach das nötige
Insiderwissen.
Der komplexe Roman ist im Stil des psychologischen Realismus
geschrieben, seine in verschiedenen Zeitebenen erzählte Geschichte eines
politischen Umbruchs ist flüssig zu lesen und gewährt Einblicke nicht nur in die
Lebenswirklichkeit der Weißen, sondern - in bescheidenerem Maße - auch die der
farbigen Bevölkerung. Empathie zu ihren Figuren vermag die Autorin mit ihrem
nüchternen und zuweilen leicht ironischen Schreibstil allerdings kaum zu wecken,
was nicht zuletzt wohl auch auf deren zauderndes Verhalten zurückzuführen ist,
man bleibt jedenfalls auf Distanz als Leser. Und die sprachliche Realisierung
vermag fürwahr nicht auszugleichen, was dem Plot substantiell fehlt und die
Lektüre über das rein Informative hinaus auch erfreulich machen könnte.
2*
mäßig
- Bories vom Berg - 12. Dezember 2015
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