LANDSCHAFTEN
NACH DER SCHLACHT
Als Nestbeschmutzer wird der spanische Schriftsteller Juan Goytisolo oft in seiner Heimat angesehen, politisch ein ehedem linientreuer Stalinist, der aus dem faschistischen Spanien nach Frankreich floh, wo er beim angesehenen Gallimard-Verlag als Lektor tätig wurde. Später dann erwarb er auch als erfolgreicher Autor und kritischer Journalist hohes Ansehen, 2014 erhielt der 83jährige Exilant mit dem Cervantespreis die in der spanischsprachigen Literaturwelt wichtigste Auszeichnung für sein Lebenswerk. In seinem 1982 erschienenen Roman «Landschaften nach der Schlacht» negiert der innovative Autor so ziemlich alle politischen und moralischen Überzeugungen, als Homosexueller lässt er seine bürgerliche Herkunft ebenso hinter sich wie die katholische Religion, mit der er schon früh gebrochen hat.
Von Mario Vargas Llosa als «aufregendes apokalyptisches Werk» bezeichnet, sprengt dieser innovative Roman die biederen bürgerlichen Vorstellungen in einer «Periode planetarischer Ungewissheit», hinterfragt gnadenlos wohlfeile gesellschaftliche Klischees. Schauplatz ist das zentrale Pariser Viertel Le Sentier, das ein Protagonist, erkennbar nur an der immergleichen Kleidung, als Flaneur ruhelos durchstreift. Seine Identität bleibt fraglich, «letzten Endes weiß er nicht mehr, ob er dieses abseitige Individuum ist, das seinen Namen usurpiert, oder ob dieser Goytisolo ihn eben erschafft». Die Perspektive wechselt unablässig zwischen dem auktorialen Erzähler, der seinen Protagonisten als pensionierten Schriftsteller schildert, und dem schrulligen Helden, dessen abartige Neigungen und sonstigen Spleens ebenso verstörend wirken wie seine fremdenfeindlichen Obsessionen. Seine Frau scheint fiktiv zu sein, wohnt in der Wohnung ihm gegenüber, die Kommunikation mit ihr läuft über Zettel, die er unter der Tür durchschiebt.
Der kurze Roman ist in 78 übertitelte Abschnitte unterteilt, Textfragmente zumeist, die oft ohne erkennbaren Zusammenhang aneinander gereiht sind. Dabei ist häufig kaum erkennbar, was Realität und was Imagination ist in diesem Konglomerat verstörender Texte, in denen nebelhaft allenfalls ein privater Handlungsstrang von einem öffentlichen unterschieden werden kann. Neben den schmuddeligen Angewohnheiten des wenig sympathischen Antihelden und seinem Hang zur Sufi-Mystik beherrscht vor allem abartiger Sex sein Privatleben, und zwar in Form von exhibitionistischen, pädophilen und sodomitischen Phantasien. Häufige Handlungsorte sind Pornokinos und der Calvados-Ausschank eines benachbarten Kohlenhändlers, wo auf Stammtischniveau politisiert wird. Im gesellschaftlichen Bereich ist die Überfremdung das Hauptthema des Romans, was bei einem Immigranten wie Goytisolo besonders widersinnig scheint. Originell gleich zu Beginn die Vision, sämtliche Schilder des Viertels wären plötzlich arabisch beschriftet, zum blanken Entsetzen der einheimischen Bevölkerung. Ein Heidenschreck auch für die Franzosen, als bei der Sargöffnung des Unbekannten Soldaten die einbalsamierte Leiche eines Negers zum Vorschein kommt. Ebenso köstlich ist die beißende Satire des altstalinistischen Autors über das sozialistische Albanien, oder auch seine Schilderung der «bastardisierten» Pariser Stadtviertel, «wo auf den Boulevards Afrika beginnt».
Zweifellos ein verstörender Text, geschrieben in einer anspruchsvollen, kreativen Sprache, hoch komprimiert zudem, was dem Leser einiges an Aufmerksamkeit abverlangt, will er den vielen Andeutungen und Verweisen folgen. Virtuos, geradezu artistisch wird hier literarisch eine Landschaft gezeichnet, die jenseits der Wirklichkeit satirisch eine Apokalypse der modernen Gesellschaft heraufbeschwört. Weit über den «Magischen Realismus» als literarische Form hinausgehend ist das Besondere hier der satirische Unsinn, der gleichwohl Wirkung zeigt beim Lesen, aller Vernunft zum Trotz. Einzig das macht diesen Roman lesenswert und hilft hinweg über Abstruses, Irritierendes, das der Autor uns hier zumutet.
2* mäßig - Bories vom Berg - 4. September 2016
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