LEVIATHAN
Der 1929 erstmals erschienene Roman trägt als markanten Titel den Namen jenes mythologischen Meeresungeheuers, das in der Bibel bekanntlich gottfeindliche Mächte personifiziert. Leviathan ist, wen wundert’s also, deshalb nicht nur der Name auffallend vieler Kriegsschiffe, sondern findet sich auch häufig als Titel in der Literatur. Autoren wie Joseph Roth, Arno Schmidt und Thomas Hobbes mit seinem berühmten staatsphilosophischen Werk müssen da genannt werden, aber auch aus jüngerer Zeit das gleichnamige Theaterstück von Dea Loher. In Julien Greens Roman steht der Titel für Gottferne, mit einem verschlafenen Provinznest in Frankreich als düsterem Handlungsort, in dessen unheilschwangerer Atmosphäre niemand eine glückliche Fügung erwarten kann, niemand eine Chance zu haben scheint.
Und so sind denn auch Greens Protagonisten allesamt schicksalhafte Figuren, deren Seelenleben bis in die äußersten Winkel durchleuchtet wird, wobei Unglaubliches zutage kommt. Wir lernen in Madame Londe eine herrschsüchtige Wirtin kennen, deren Obsession darin besteht, möglichst viel über ihre ausschließlich männlichen Gäste in Erfahrung zu bringen, einzig und allein, um eine gewisse Macht über sie zu erhalten. Als willige Spionin benutzt sie ihr blutjunges, ebenso hübsches wie naives Hausmädchen Angèle, die sie den Männern sexuell zur Verfügung stellt, ohne jeden Skrupel zwar, aber nicht des Geldes wegen, sondern um an Informationen über deren Privatleben zu gelangen. Seelisch nicht weniger verkorkst ist der linkische, schüchterne Hauslehrer Guerét, der überraschende Bösewicht des genial konstruierten Plots, und in der total verbitterten, kaltherzigen Mutter seines Privatschülers schlummert ebenfalls völlig unvorhersehbar ein glühendes Verlangen, das sie geradezu zwanghaft zur Komplizin eines gesuchten Mörders macht.
In weiten Teilen aus der Innensicht seiner Figuren erzählt, mit vielen inneren Monologen angereichert, entwickelt sich eine spannende Geschichte um Liebe der besonderen Art, nicht glückstrunken wie bei Romeo und Julia, sondern schwermütig und nichts Gutes verheißend, unabwendbar auf ein böses Ende hinführend. Die Schicksale der meisterhaft herausgearbeiteten Charaktere sind tragisch ineinander verwoben, sie haben von vornherein keine Chance, verirren sich in ihren seelischen Abgründen, zerstören sich selbst in oft sinnlosen Aktionen. Der Leser erlebt ambivalente Figuren in ausweglos erscheinenden Situationen, ein beklemmendes Drama menschlicher Schwächen und Seelenzustände, das aber nicht in eine Katharsis mündet, dessen Ausgang Julien Green bewusst offen lässt.
Kein leicht zu lesendes Buch mithin, natürlich auch kein froh stimmendes, aber ein Werk, das unter die Haut geht und den Leser unwillkürlich dazu zwingt, moralisch Stellung zu nehmen, von seiner erhabenen Warte herabzusteigen und sich selbst an dem zu messen, was ihm da an menschlichen Untiefen vorgeführt wird. Der französische Autor amerikanischer Abstammung wurde für seinen dritten Roman vom Feuilleton allenthalben überschwänglich gelobt, auch wenn, wie ich meine, der Lesespaß ein wenig zu kurz kommt bei dieser düsteren, schon fast depressiv machenden Thematik. Wen das nicht stört, der kommt voll auf seine Kosten, dieser immer wieder lesenswerte Roman ist genial erdacht und meisterhaft geschrieben, somit als gute Lektüre also absolut zeitlos. Völlig zu Recht könnte man deshalb sagen, wenn mir dies kleine Wortspiel mit dem Namen des Autors erlaubt ist: Ein Evergreen!
4* erfreulich - Bories vom Berg - 7. Juli 2013
®2 Danksagungen von zwei Lesern erhalten (E-Mail)
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