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DANA GRIGORCEA

 

DIE NICHT STERBEN

 

Nichts für schwache Nerven

 

«Die nicht sterben» ist ein Roman der rumänisch-schweizerischen Schriftstellerin Dana Grigorcea, der vom Genre her verschiedenste Zuordnungen erlaubt. Er ist einerseits eine Melange aus post-kommunistischem Gesellschafts-Roman und politischem Schauermärchen, andererseits aber auch ein Geschichts-, Künstler- und Fantasy-Roman. Das für den diesjährigen Frankfurter Buchpreis nominierte Werk der literarisch vielseitigen Autorin wurde im Feuilleton als neuartige literarische Gattung durchweg positiv besprochen, die Aufnahme beim Lesepublikum ist bisher eher verhalten, aber das könnte sich im weiteren Prozess der Preisvergabe schnell ändern.

 

Wie schon im Titel anklingt, geht es um die Geister der Vergangenheit, die Untoten, zu denen als nationaler rumänischer Mythos auch Vlad Dracula gehört, der Pfähler. Eine Figur der Legende, die Bram Stocker in seinem 1897 veröffentlichten Vampir-Roman entscheidend geprägt hat. Mit dem Anfangssatz «Ich kann nicht umhin, diese Geschichte zu erzählen, zumal ich sie aus nächster Nähe erlebt habe» wird eine namenlos bleibende Ich-Erzählerin etabliert, die nach ihrem Kunststudium in Paris ihre Großtante in einer Kleinstadt Transsylvaniens am Fuß der Karpaten besucht. Weil sie seinen zweifelhaften Ruhm nicht zusätzlich befördern wolle, will sie den Ort nur B. nennen, auch «weil die Geschichte sinnbildlich ist für unsere walachische Moral». Die Geschichte ist in der Jetztzeit angesiedelt, die nach der Jagdgöttin benannte Villa Diana war während ihrer Jugend ständiges Ziel ihrer Ferienaufenthalte, ist ihr aber inzwischen fremd geworden. Sie hat ein inniges Verhältnis zu ihrer jugendlichen Großtante Margot, die sie früher Mamargot nannte und deren großbürgerliches Haus immer voller illustrer Gäste war.

 

Die Erzählung wird dramatisch, als in der nahe gelegenen Familiengruft das Grab Draculas identifiziert wird, weil eine grauenhaft geschändete Leiche darauf abgelegt war. Mit dem schrecklichen Fürsten wird wieder die blutrünstige Vergangenheit heraufbeschworen, die Heldin beginnt spontan, seine Geschichte zu erzählen. Dabei ist für sie die erstarrte rumänische Gesellschaft von heute mit dem grausamen Schreckensreich von Dracula schicksalhaft verbunden, sie sieht ihn in einer Linie mit dem kommunistischen Diktator Ceaușescu. Im Interview hat die Autorin erklärt, dass der Dracula-Mythos im Buch für die Sehnsucht der Menschen nach einer starken Hand stehe. Als Beispiel hat sie Vladimir Putin genannt, es gehe letztendlich um den sozialen Vampirismus. Und im Roman sei die Malerei Beleg für den als Fanal wirkenden, zentralen Satz «nichts kann uns brechen». Kunst sei nun mal kontemplativ ein starkes Bollwerk gegen äußere Zumutungen. Und wie ihre malende Protagonistin, so erweist sich auch die Autorin als eine äußerst genaue Beobachterin. Sie vermag Bilder sehr stimmig zu beschreiben, seien es gegenständliche von der grandiosen Landschaft oder abstrakte wie der desaströse Zustand, in dem sich das von Korruption gebeutelte Rumänien heute immer noch befindet. Und natürlich werden auch die knallhart servierten Schauergeschichten wirkungsvoll geschildert, wobei deren Realistik starke Nerven erfordert.

 

Als die Ich-Erzählerin irgendwann seltsame Veränderungen im Haus bemerkt, der Plattenspieler plötzlich von selbst Musik abspielt, gewinnt der magische Realismus als Erzählstil endgültig die Oberhand. Die Heldin kommt in Kontakt mit dem ersten Untoten, erhebt sich in die Lüfte und beschreibt schließlich den Horror aus der Vogelperspektive. Die mit poetischer Kraft erzählte Geschichte von den vergangenen und gegenwärtigen Dämonen, die den Leser durch direkte Ansprache eng mit einbezieht, ist ebenso bizarr wie konfus. Sie ist der kreative Versuch, die Misere des Heute aus den Verbrechen der Vergangenheit herzuleiten und die Apathie einer ganzen Nation damit zu erklären. Dass Kriterien wie Political Correctness dabei nicht maßgeblich sind, liegt bei einem Fantasy-Roman auf der Hand.

 

3* lesenswert - Bories vom Berg - 7. September 2021

 

 

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