KOMMT EIN PFERD
IN DIE BAR
Das Original des erfolgreichsten Romans von David Grossman wurde 2014 in Israel veröffentlicht und zwei Jahre später sowohl ins Englische als auch, unter dem Titel «Kommt ein Pferd in die Bar», ins Deutsche übersetzt. Der Roman wurde 2017 als bester fremdsprachiger Roman mit dem Booker International Prize ausgezeichnet, dessen Preisgeld von 80.000 Pfund sich Autor und Übersetzer teilen. Während das Buch in seinem Heimatland Israel recht unterschiedlich bewertet wurde, war das Echo im deutschen Feuilleton einhellig positiv. Alleiniges Thema des Romans ist ein Auftritt des Komikers Dov Grinstein in einer israelischen Stadt am Mittelmeer, es ist der Tag seines 57ten Geburtstags.
Zu diesem Abend hat er Avischai Lasar eingeladen, einen gleichaltrigen Freud aus seiner Kindheit, die Beiden haben sich seit 40 Jahren nicht mehr gesehen! Der ehemalige Richter wurde vor drei Jahren vorzeitig in den Ruhestand versetzt, weil den Vorgesetzten seine scharfsinnigen, immer exzellent begründeten Urteile nicht mehr gepasst haben, sie gaben häufig Anlass zur Revision. Der Stand-up-Comedian hatte große Schwierigkeiten, den auch in den Medien bekannten, hohen Richter a. D. zum Kommen zu bewegen. Sein alter Freund Avischai hat es sich nämlich als Pensionär gemütlich gemacht und ist mental inzwischen auch über den Tod von Samanta hinweg, seiner ehemaligen Freundin. Aber was ihn schon gar nicht interessiert, das sind solche Comedy-Shows, und dann soll er Dov auch noch berichten, wie er seinen Auftritt bewertet! «Das, was von einem Menschen ausgeht, ohne dass er Kontrolle darüber hat – das sollst du mir erzählen.» Er habe ja in seiner Zeit als Richter bewiesen, welch glänzender Formulierer er ist, - und schließlich gibt Avischai nach.
«Einen wun-der-ba-ren Guten Abend» heißt es am Anfang, «Gute Nacht» sind die Schlussworte nach gut 250 Seiten, chronologisch sind es zwei, drei Stunden später, dazwischen wird von Dovs denkwürdigem Auftritt berichtet. Er beginnt mit den üblichen Späßen, erzählt viele Witze, erweist sich als schlagfertig, wenn er Leute aus dem Publikum mit einbezieht, ist mimisch und gestisch virtuos. Immer öfter aber schweift er zu seiner leidensvollen Kindheit ab und provoziert damit sein Publikum, das zum Lachen hergekommen ist. Dov reagiert aggressiv, die Proteste werden lauter, man will keine Leidens-Geschichten hören, erste Gäste verlassen den Saal. Mit seinen Witzen gelingt es ihm immer wieder, die Leute zu beruhigen, die lauter werdenden Buh-Rufe für kurze Zeit zum Verstummen zu bringen, aber der Abend wird zusehends zum Fiasko. Mit «Ein Pferd kommt in die Bar» beginnt er einen Witz, den er nicht zu Ende erzählt, er hat sich buchstäblich vergaloppiert, verliert dauernd den Faden. Er ist als Comedian am Ende, bei aller Gelenkigkeit ein körperliches Wrack, sein Freund erkennt aber die Sehnsucht, die da aus seinem total missglückten Auftritt mit der schonungslosen Lebensbeichte überdeutlich spricht. Verstörend ist insbesondere die Einbeziehung des Holocausts in seine Erzählung, sein Vater habe ihn als Einziger in der Familie überlebt. Die Mutter wurde hochgradig traumatisiert, weil sie sich in Todesangst ein halbes Jahr lang unter prekären Verhältnissen vor den Nazis verstecken musste. Sie hat sich nie mehr davon erholt, blieb ihr Leben lang schwer davon gezeichnet. Dov wollte sie aufheitern, unterhielt sie mit Späßen und wurde so zum Comedian wider Willen.
Der Erzähler des Romans ist der pensionierte Richter, er schildert die Gratwanderung zwischen mit Witzen gewürzter, oft in Klamauk abgleitender Komik und der Leidensgeschichte, die Dov auf der Bühne, unbeirrt vom Protest des Publikums, trotzig von sich gibt. Von einigen Rückblenden abgesehen ist das der alleinige Erzählstoff des Romans, zu dem sein Autor überraschend angemerkt hat, er selbst sei eigentlich gar kein Freund von Witzen. Lachen und Weinen liegen hier sehr eng beieinander!
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3* lesenswert - Bories vom Berg - 14. August 2024 |