DIE DREIFACHE MARIA
Der kürzlich verstorbene Peter Härtling hinterlässt ein breit gefächertes literarisches Werk aus Lyrik und Prosa, in dem er sich thematisch der Aufarbeitung der Geschichte widmet, auch der eigenen. Wobei die Romantik einen Schwerpunkt bildet in seinem Œuvre, eine ganze Reihe von Roman-Biografien über Musiker und Dichter dieser Epoche künden davon, und ebenfalls dazu gehört das 1982 veröffentlichte Büchlein «Die dreifache Maria». Eng eingebunden in viele seiner Werke ist außerdem die Heimat, bei ihm das als seine Wahlheimat geltende Württemberg, dessen Mundart sich immer wieder findet in seiner Geschichte von der folgenreichen Begegnung Eduard Mörikes mit der ebenso schönen wie geheimnisvollen Maria Meyer.
Als er in einem Ludwigsburger Gasthaus, wo sie als Bedienung arbeitet, 1823 auf Maria trifft, verliebt sich der junge Dichter heftig in das ungewöhnlich attraktive Mädchen. «Eine junge, tollkühne Person», beschreibt Härtling sie, «die aus erprobter Freiheit auf keine Regel achtet, die sich, immerfort lügend, Wahrheiten zutraut, die ihre Begierden und Hoffnungen nicht unterdrückt, sondern unverhohlen auslebt, die, wenn sie liebt, nicht auf Anstand und Absprache achtet, sondern sich preisgibt, die weiß, dass sie für die Gesellschaft, in die sie geriet und die sie ohne Gewissensbisse ausnützt, ein rätselhaftes Wesen darstellen soll, die schöne Fremde, die romantische Vagantin, die herausbekommen hat, wie sie in die Zeit passt, als Hilflose, Verlorene oder als tanzende Zigeunerin, die nichts besitzt als ihren Mut, ihre Leidenschaft, ihre Kenntnisse, ihre Schläue». Die authentische Figur der Maria Meyer aus Schaffhausen ist ähnlich von Mythen umrankt wie Johann Georg Faust aus Knittlingen. Sie gehörte zum Gefolge der Schriftstellerin Juliane von Krüdener, die als Galionsfigur eines prophetisch-ekstatischen Pietismus gilt, eine Sektenstifterin mit großem Einfluss, die immerhin den russischen Zaren auf dem Wiener Kongress vertreten hat.
In fünf Kapiteln beschreibt Härtling das Leben des 1804 geborenen Eduard Mörike, beginnend mit dem Kapitel «Flucht», in dem die Adoleszenz des kränkenden Schülers beschrieben wird, er behandelt ferner in «Die Kinderbraut» die erste Liebe des angehenden Poeten. Die titelgebenden drei Kapitel schließlich erzählen zunächst unter «Maria Meyer» von der aufwühlenden Begegnung der fortan unsterblich Verliebten, unter «Peregrina» von der späteren, natürlich lyrischen Umsetzung dieser großen Liebe in dem gleichnamigen Gedicht-Zyklus, und sie enden schließlich mit einem letzten Blick der inzwischen verheirateten «Maria Kohler» auf ihren Eduard, der dann spät, erst 1851 heiratet. Die stürmische Schwärmerei des Jünglings zu der Unperson Maria hat ihn seelisch zwar noch auf Jahre hinaus beschäftigt, ging aber über eine von ihm schon bald abgebrochene Korrespondenz nicht hinaus. Schließlich brach der Kontakt nach einem von ihm brüsk verweigerten Wiedersehen ein Jahr später völlig ab. Zu übermächtig war wohl der empörte, ablehnende Einfluss seiner frömmelnden Familie auf den zögernden, wankelmütigen Mörike. Immerhin aber verdankt die lesende Nachwelt dieser Begegnung jenen berühmten Gedichtzyklus, mit dem er seine Jugendliebe als Pegrina zumindest literarisch unsterblich gemacht hat, ein weiteres Denkmal hat er ihr in dem Roman «Maler Nolten» gesetzt.
In wohlgesetzten Worten berichtet Härtling von den Geschehnisse so gekonnt, dass man gut nachvollziehen kann, welche seelischen Kämpfe der Protagonist mit sich auszufechten hat. Wenn schlussendlich der Pietist in ihm siegt, so schimmert bei aller Wohlanständigkeit doch stets auch eine gewisse Ungeduld über die eigene, lustfeindliche Spießigkeit mit durch, ja es nagt an ihm als innerster Zweifel sogar die Angst vor einem womöglich total verfehlten Leben. Was sprachlich altväterlich erscheint, ist trickreich der Epoche angepasst. Eine bereichernde Lektüre, die zudem amüsant ist, weil gelegentlich auch ganz köstlich geschwäbelt wird.
4* erfreulich - Bories vom Berg - 10. September 2017
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