ALOIS
HOTSCHNIG
DER
SILBERFUCHS
MEINER MUTTER
Wahrheit
gibt es ja sowieso nicht
In seinem neuen Roman «Der Silberfuchs meiner
Mutter» erzählt der österreichische Schriftsteller Alois Hotschnig
eine berührende Geschichte. «Dieses Buch gäbe es nicht ohne die
Begegnung mit dem Schauspieler Heinz Fitz, der es mir erlaubt hat,
entlang seiner Lebensgeschichte diesen Roman frei zu entwickeln»,
erklärt er in seiner Danksagung. Ich-Erzähler des Romans ist, wenig
originell, Heinz Fritz, ebenfalls Schauspieler, der erst als
Sechzigjähriger seinen richtigen Vater kennengelernt hat und
zeitlebens auf den äußerst dürftigen Spuren seiner Herkunft das
Schicksal seiner Mutter Gerda aufzuklären sucht.
Der einzige konkrete Beleg ist ein Dokument der
Lebensborn-Organisation der SS, die in ihrem Arierwahn seine
norwegische Mutter mit ihrem Sohn über Oslo, Kopenhagen, Berlin,
München nach Hohenems in Vorarlberg geschickt hat, zur Familie
seines Vaters. Der war Anfang 1942 als Obergefreiter verwundet nach
Kirkenes im Norden Norwegens gekommen, sie war Krankenschwester dort
und hatte sich mit dem Feind eingelassen. Das äußere Symbol ihrer
Verbundenheit war der Silberfuchs, den Anton ihr dort geschenkt hat.
Als sie dann schwanger wurde, hat ein Teil ihrer Familie sie als
«Nazi-Hure» brüsk verstoßen. Aber auch in Hohenems ging es ihr nicht
besser, die schöne Frau wurde von der österreichischen Familie ihres
Geliebten als «Norweger-Hure» zunehmend abgelehnt, teils spielten
allerdings auch religiöse Gründe eine Rolle dabei. Und sogar der
leibliche Vater distanzierte sich plötzlich von ihr. Das Kind sei
nicht von ihm, behauptete er, sondern von einem Russen, der
ertrunken sei. Sie musste sich also allein durchschlagen, ein Zurück
nach Norwegen gab es für sie als Kollaborateurin nun nicht mehr.
Ende 1942 kam dann Heinz zu Welt, aus gesundheitlichen Gründen
brachte sie ihn bei einem Bauern unter und sah ihn erst 4 Jahre
später wieder. Als seine Mutter wieder heiratet, leidet Heinz sehr
unter dem übergriffigen, sadistischen Stiefvater. Seinen leiblichen
Vater aber hat er nur zweimal im Leben kurz gesehen, er hat jeden
Kontakt abgelehnt.
Dieser Roman ist der breit angelegt Versuch des
Ich-Erzählers, aus den offensichtlichen Lügen, ungeheuren
Begebenheiten und aus den allerkleinsten Erinnerungs-Fetzen seine
eigene Biografie zu rekonstruieren. Nicht nur seine Mutter, auch er
selbst kommt in seelische Abgründe, begeht sogar unbeholfene
Suizid-Versuche. Gleichwohl verbinden sie die Bücher, die Mutter
liest ihm aus «Peer Gynt» vor, später auch aus «Andorra», und weckt
damit sein Interesse an Literatur. Begeistert spielen sie einzelne
Szenen nach, womit der berufliche Lebensweg von Heinz bereits
vorgezeichnet ist. Er strebt eine Laufbahn als Schauspieler an und
bereitet sich mit Hilfe seiner diversen Brot- und Butter-Jobs auf
die Schauspiel-Schule vor.
«Bis
ich mit sechzig Jahren, erst mit sechzig meinen
richtigen
Vater kennengelernt habe, diesen Anton Halbsleben in Hohenems, durch
einen Theaterportier, der auch aus Hohenems war.» Unbekümmert um
Grammatik verwendet Alois Hotschnig schon im ersten Satz eine
holperige, häufig stockende, monologische Sprache. Die ist dazu
angetan, dem Denken seines wurzellosen Helden einen
Möglichkeits-Raum zu schaffen, um moralische und ethische Grenzen zu
überwinden. «Wen lässt der Autor sprechen und wie»
ist für Hotschnig die entscheidende stilistische Frage.
In diesem düsteren und
beklemmenden Psychogram geht es um die verzweifelte Suche eines
zutiefst zerrissenen Menschen nach Liebe. Das Einzige übrigens, was
zählt, denn Wahrheit gibt es ja sowieso nicht.
Prompt wird das dann bestätigt, wenn ganz am Ende mit dem
plötzlichen Auftauchen von Briefen der Mutter einige der bisherigen
Gewissheiten ins Wanken kommen. Neben dem sperrigen Stil stören auch
die seltsam blutleer bleibenden Figuren bei der Lektüre, was
übrigens auch für beide Protagonisten gilt, vor allem aber ist ein
nur rudimentäres Handlungsgerüst das größte Manko für den
enttäuschten Leser.
2*
mäßig Bories vom Berg - 29. Mai 2022
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