MARLON
JAMES
EINE KURZE
GESCHICHTE
VON SIEBEN
MORDEN
Blutrünstiger
Karibik-Thriller
Der jamaikanische Schriftsteller Marlon James hat
mit «Eine kurze Geschichte von sieben Morden» einen Roman um den
Mordanschlag von 1976 auf Bob Marley geschrieben, den bekanntesten
Vertreter des Reggae auf der karibischen Insel. Für dieses bisher
erfolgreichste Werk des Autors erhielt er den hoch angesehenen
britischen Booker-Prize. Der dickleibige Roman wurde hierzulande
jedoch
nicht annähernd so euphorisch aufgenommen wie im englischsprachigen
Raum. Zu Recht?
Das Buch ist in fünf Teile gegliedert, die
jeweils mit dem Datum des Tages überschrieben sind, von dem da
erzählt wird, was zeitlich eine Spanne von 1976 bis 1991 umfasst.
Die einzelnen Kapitel wiederum sind mit den Namen derjenigen
Romanfigur überschrieben, aus deren Perspektive über das Geschehen
berichtet wird. Mit 76 Figuren, die anfangs als handelnde Personen
übersichtlich nach Ort, Zeit und Funktion aufgelistet sind, entsteht
so ein polyphoner Chor unterschiedlichster Stimmen. Da finden sich
Politiker, unter ihnen sogar ein toter, der gleich zu Beginn spricht
und dann immer wieder mal auftaucht, ferner Journalisten, CIA-Leute,
Polizisten, Gang-Mitglieder und ihre Dons, Dealer und Junkies,
Gangster aller Couleur. Auffällig ist der bescheidene Anteil von nur
zehn Frauen, unter ihnen eine Drogenbaronin des Medellin-Kartells,
Filiale Miami. Hier wird also aus Macho-Perspektive erzählt, die
Frauen fungieren nur als Beiwerk im Roman dieses offen homosexuell
lebenden Autors. Im Mittelpunkt stehen die sieben auf den «Sänger»,
wie Marley im Roman genannt wird, angesetzten Auftragskiller. Deren
fiktive Schicksale bilden, über mehr als fünfzehn Jahre hinweg, den
narrativen Hintergrund für ein breit angelegtes Panorama der
jamaikanischen Gesellschaft jener Zeit. Ort der Handlung sind die
Slums der Hauptstadt Kingston, ein Milieu unglaublich roher Gewalt,
in dem sich alles um Drogen dreht. In diesen kriminellen Sumpf sind
die korrupten Politiker wie selbstverständlich ebenfalls tief mit
eingebunden. Damit schildert Marlon James die Schattenseite einer
lebensfrohen, karibischen Idylle, für die Bob Marley als
Reggae-Lichtgestalt die passende Begleitmusik geliefert hat.
«Wenn es nicht so war, dann war es ähnlich»
lautet ein jamaikanisches Sprichwort, das der Autor seinem Roman
vorangestellt hat. Und so schildert er denn auch in einer Episode,
die den Buchtitel geliefert hat, die Nöte eines Journalisten, der
für den «New Yorker» eine Artikelserie unter dem Titel «Eine kurze
Geschichte von sieben Morden» schreibt. Dabei geht es um ein
Massaker im Drogenmilieu, dessen Auslöser die grobe Beleidigung
eines Gangsterbosses war. Der rächt sich auf seine Art, und dabei
gerät der Journalist nun selbst auch in Visier von dessen Killern.
Der historische Teil dieses Mix aus Realem und Fiktion basiert auf
der Marley-Biographie von Timothy White,
die frei erfundenen Ergänzungen der Fakten zeugen von einer
ungebremsten Fabulierlust des Autors. Der lässt sein
Figuren-Ensemble, unter ihnen ein Dutzend Ich-Erzähler, munter drauf
los palavern vom ewigen Kampf rivalisierender
Drogensyndikate.
Und das geschieht in einem wahrhaft
babylonischen Sprachgewirr aus breitestem Slang, dem inseltypischen
Patois, ferner Ganovensprache, mundartliche Einschübe, Versform,
salbungsvolle Pastorensprache sowie als Bewusstseins-Strom
angelegte, alle Schreib-Konventionen missachtende Phantastereien.
Triebfeder des Plots sind die pausenlosen Gewaltexzesse, welche hier
geradezu sadistisch in einer Intensität und Unmittelbarkeit vor dem
Leser ausgebreitet werden, die starke Nerven voraussetzt. Von
Leuten, die das Original gelesen haben, wird übereinstimmend
beanstandet, dass die sprachliche Geschmeidigkeit in der von nicht
weniger als fünf Übersetzern übertragenen deutschen Version verloren
gegangen sei. Größtes Manko aber ist die grotesk ausufernde
Geschichte selbst, die sich dann auch rasch abnutzt, so dass dieser
blutrünstige Karibik-Thriller schon bald nur noch langweilig ist.
2*
mäßig -
Bories vom Berg - 8. Juli 2021
© Copyright 2021
|