DIE AUSGESPERRTEN
Das «glückliche Österreich», für mich unauslöschbar mit dem lateinischen Spruch «Bella gerant alii, tu, felix Austria, nube» verbunden, hat es als Ergebnis geschickter Machtpolitik während der habsburgischen Zeiten gegeben, heute hingegen, vor allem wenn es um Kunst geht und besonders um Literatur, ist davon nichts mehr zu spüren, es ist eher unfrohe Zwietracht angesagt. Zu den von ihren Landsleuten heftig angefeindeten «Nestbeschmutzern» der Alpenrepublik gehört neben Thomas Bernhard insbesondere auch Elfriede Jelinek. Deren Kritikern ist mit dem Literatur-Nobelpreis von 2004 allerdings ein wenig der Wind aus den Segeln genommen worden. Ihre Werke, so das Nobelkomitee, würden nämlich «mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen». Wer den Roman «Die Ausgesperrten» liest, wird das vollinhaltlich bestätigt finden, die Autorin schreibt darin scharfzüngig gegen Missstände in der österreichischen Gesellschaft der Nachkriegszeit an, in der das Wirtschaftswunder wie ein blickdichter Schleier die böse Vergangenheit zu verstecken suchte. Ein Blick in ihre Biografie verdeutlicht und erklärt ihre kritische Perspektive, insbesondere auch ihren Hass auf das so hartnäckig verdrängte Nazi-Erbe ihres Vaterlandes.
Wohliges Behangen stellt sich jedenfalls nicht ein, wenn man diesen Roman liest, in dem Jelinek dem Leser auf Basis einer wahren Begebenheit von einer Gruppe Jugendlicher erzählt, die auf ihre sehr spezielle Art gegen die verhasste Gesellschaft opponieren. Dabei schrecken sie nämlich auch vor brutalster Gewalt nicht zurück, wobei sich aber sowohl ihre Motive als auch ihre ganz persönlichen Lebenssituationen als recht unterschiedlich erweisen.
Da sind die vor der Matura stehenden Zwillinge Rainer und Anna, die aus einer einfachen Familie stammen mit einem beinamputierten Vater, der bei der SS war und nun als Nachtportier seine Invalidenrente aufbessern muss. Er tyrannisiert seine Frau, zwingt sie sogar zu obszönen Fotos, demütigt sie auf jede erdenkliche Weise. Die Jugendlichen wissen davon, bleiben aber seltsam unbeteiligt, verhalten sich sogar krass abweisend, flüchten sich in ihre eigene Gedankenwelt. Rainer beschäftigt sich mit Camus und Sartre, fantasiert sich eine eigene Pseudo-Philosophie zurecht, die in nackter Gewalt gipfelt als Fanal gegen die verhasste Gesellschaft mit ihren verlogenen Konventionen. Seine eher unscheinbare, musikalisch begabte Schwester Anna bewundert ihn und folgt ihm blindlings, fungiert bei den gemeinsam verübten Raubüberfällen zur Aufbesserung des Taschengeldes als erotischer Lockvogel. Ihre Klassenkameradin Sophie kommt aus der Upperclass, ihr erfolgreicher Lebensweg ist deutlich vorgezeichnet, was sie aber eher langweilt, sie ist vielmehr fasziniert von Macht verleihender, krimineller Energie, vom Nervenkitzel verbrecherischer Aktionen. Vierter im Bunde ist der deutlich ältere Schlosser Hans, ein eher einfältiger Prolet, der von einer besseren Zukunft träumt und die ihm intellektuell weit überlegenen Gymnasiasten bewundert, ganz nebenbei aber auch lebhaft an beiden Mädchen interessiert ist.
Die Autorin benutzt einen provokanten, sarkastischen Stil, der stellenweise auch vulgär und obszön erscheint, so wenn sie zum Beispiel fast höhnisch über die eher unbeholfenen ersten sexuellen Kontakte der Gruppe schreibt. Der mit ihrer Thematik verfolgten Intention verleiht sie jedoch in glasklarer Sprache wirkmächtig eine Stimme, was der gequälte Aufschrei ihrer vielen konservativen Kritiker eindrucksvoll belegt. Der davon unbeirrte Leser sollte darauf gefasst sein, urplötzlich mit brutalsten Details konfrontiert zu werden, unversehens in grausige Szenarien hineinzugeraten wie dem Überfall gleich am Anfang des Romans und erst recht dem alles die Krone aufsetzenden Showdown an seinem Ende.
4* erfreulich - Bories vom Berg - 18. April 2014
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