ALEXIS
JENNI
DIE
FRANZÖSISCHE KUNST
DER KRIEGES
Illusionistische
Multikulti-Euphorie
Als ‹Sonntagsschreiber›, wie er sich selbst
bezeichnet hat, ist dem französischen Schriftsteller Alexis Jenni
nach mehreren erfolglosen Versuchen mit seinem 2011 veröffentlichten
Romandebüt «Die französische Kunst des Krieges» ein Bestseller
gelungen. Das imposante Epos gewann den Prix Goncourt und wurde
wegen seiner Täterperspektive mit »Die Wohlgesinnten» von Littel
verglichen. Ein Vergleich, den Jenni vehement
abgelehnt hat, weil sein Kollege eher eine Doku-Fiktion geschrieben
habe, während bei ihm eindeutig das Romanhafte im Vordergrund stehe.
Der namenlose Ich-Erzähler ist ein im
bürgerlichen Leben gescheiterter, junger Mann. Den Beginn des
Golfkriegs 1991 erlebt er unbeteiligt am Bildschirm mit, der so weit
entfernte Krieg bedeutet ihm rein gar nichts. Bis er in einem Bistro
auf Victor Saragon trifft, einen alten Haudegen, dessen Leben zwei
Jahrzehnte lang von Kriegen geprägt war, die Frankreich alle
verloren hat. Seine Karriere begann einst bei den ‹Chantiers de
Jeunesse›, einer die Résistance unterstützenden, paramilitärischen
Jugend-Organisation. Anschließend hatte er im Indochina-Krieg
gekämpft und danach im Algerien-Krieg, der dann 1962 mit der
Unabhängigkeit des Landes endete, beides schmutzige, asymmetrische
Kolonial-Kriege. Seine Eindrücke aus dieser Zeit hat Saragon, der
ein begnadeter Zeichner ist, einst in unzähligen Bildern
festgehalten. Die Beiden vereinbaren, dass Saragon dem faszinierten
jungen Mann das Zeichnen beibringt, im Gegenzug würde jener die
abenteuerlichen Geschichten seiner Kriegseinsätze aufschreiben, von
denen ihm der alte Kämpe berichtet.
In dreizehn Kapiteln erzählt Alexis Jenni im
ständigen Wechsel einerseits aus der Perspektive des Ich-Erzählers,
als ‹Kommentare› betitelt, von dessen bewegtem Leben in Lyon, als
auktorialer Erzähler andererseits unter den ebenfalls
durchnummerierten Überschriften ‹Roman› die Geschichte des
Kriegs-Veteranen. Dabei rührt er als Nest-Beschmutzer gleich an
mehreren Tabus der französischen Gesellschaft. Im Interview hat er
dazu angemerkt, er wolle Frankreich verstehen: «Was heißt es heute,
Franzose zu sein? Gibt es eine französische Nationalität, eine
französische Besonderheit?». Und daraus leitet er auch die Frage
nach den sozialen Unruhen in den Banlieues ab, nach Problemen mit
den Arabern, und stellt die Hypothese auf: «Unsere heutigen Probleme
haben ihre Wurzeln in der Zeit der Kolonial-Kriege».
Die gelungenste Episode des Romans, mit der
eindrucksvoll die verlogene Verdrängung des Tötens verdeutlich wird,
ist der Umgang der modernen Gesellschaft mit Fleisch. Bei Einkauf
für ein Abendessen mit Freunden kommt dem Ich-Erzähler angesichts
akkurat zubereiteter und klinisch verpackter, dem Schlachttier nicht
mehr zuzuordnender Fleischstücke die Idee, statt dem geplanten
Bœuf bourguignon bei
chinesischen und arabischen Händlern auf dem Markt das dort
feilgebotene Fleisch zu kaufen. Mit Kaldaunen, drei ganzen
Hammelköpfen, jede Menge Hahnenkämmen und drei Metern Blutwurst am
Stück vertreibt er als Koch dann abends nicht nur die entsetzten
Freunde für immer, sondern verliert auch seine Frau, - ein Clash of
Civilisations der besonderen Art. Im anderen Handlungsstrang gesteht
der Kriegsveteran seinem Chronisten: «Wir haben uns alle wie
Schlachter aufgeführt», eine zutiefst verstörende Wahrheit für die
an schamhaftes Verdrängen gewöhnte ‹Grand Nation›. Auch der eher
verharmlosende Satz des Heraklit vom «Krieg als Vater aller Dinge»
erweist sich damit als haltlose Schönfärberei eines barbarischen
Handwerks, heute in Zeiten asymmetrischer Kriege mehr denn je.
Insoweit ist dieses Epos nicht nur ein Fanal gegen den überall
weitverbreiteten Rassismus, es entlarvt auch die naive
Multikulti-Euphorie als grandios an der Realität scheiternde
Illusion, aller Vernunft zum Trotz! Diese angenehm lesbare Diagnose
nationaler Befindlichkeit dürfte für manche Leser deutlich zu lang
geraten sein, aufschlussreich ist sie allemal!
3*
lesenswert - Bories vom Berg
- 8. April 2021
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