ERICH
KÄSTNER
FABIAN
Symbiose
von Moral und Wortwitz
Im vielseitigen Œuvre von Erich Kästner nimmt der
Roman «Fabian» eine Sonderrolle ein, die schon durch den Untertitel
«Roman eines Moralisten» verdeutlicht wird. Das 1931 erschienene,
gesellschaftskritische Werk ist neben den überaus erfolgreichen
Kinderbüchern des Autors sein bekanntester Roman mit intellektuellem
Anspruch. Ein elegischer Großstadtroman, der literarisch
der Neuen Sachlichkeit zugerechnet wird und sich auf Erfahrungen
seines Verfassers stützt. Von den Nationalsozialisten als
Asphaltliterat diffamiert, war er zwei Jahre später der einzige
Schriftsteller, der auf dem Münchner Odeonsplatz bei der Verbrennung
seiner Bücher persönlich zugegen war.
Dr. phil. Jakob Fabian ist ein Germanist, der
mangels anspruchsvollerer Stellen notgedrungen als schlechtbezahlter
Werbetexter arbeitet. Der aus Dresden stammende, lethargische
32Jährige wird in der Metropole Berlin mit einem wilden Nachtleben
konfrontiert, dem er als skeptisch distanzierter Beobachter ironisch
gegenübersteht. Sein alter Freund und Studienkollege Labude nimmt
ihn mit in das Atelier einer lesbischen Künstlerin, wo er mit der
Juristin Dr. Cornelia Battenberg eine junge Frau kennenlernt, die
sich ebenfalls mit Gelegenheitsjobs durchschlägt. Die Beiden finden
schnell zueinander, und in dem resignativen Fabian erwacht neuer
Lebensmut, er will sich endlich ernsthaft um bessere Arbeit bemühen.
Am nächsten Tag erzählt ihm Cornelia, dass sie zu einem Casting als
Filmschauspielerin eingeladen ist. Sie wird auch tatsächlich
angenommen, der Weg zur Filmkarriere führt aber über die
Besetzungscouch, - Harvey Weinstein ist fürwahr kein Einzelfall. Der
Karriere zuliebe ist sie jedoch wild entschlossen, dieses Angebot
keineswegs auszuschlagen. Gleichzeitig verliert Fabian auch noch
seinen Job. Bitter enttäuscht stürzt er sich in kurze Affären,
moralische Bedenken beim One-Night-Stand haben die Frauen alle
nicht, glaubt man dem Macho Erich Kästner. Anders als Fabians
idealistischer Freund Labude, der die Hoffnung auf ethische
Besserung der Menschheit nicht aufgibt, entwickelt er selbst sich in
Folge immer mehr zum zynischen Realisten.
Der Optimist, so hat es Schopenhauer postuliert,
habe mehr Unglück zu ertragen als der Pessimist. Gegen Ende der
Geschichte wird diese These durch das Schicksal seines Freundes
Labude auf grausame Art bestätigt, und inwieweit emotionales Handeln
verhängnisvoll sein kann, erfahren wir dann im letzten Satz des
Romans. Des Autors Glaube an die ethischen Prinzipien wird bei den
Streifzügen des Flaneurs Fabian durch den Großstadt-Dschungel
Berlins eindrucksvoll widerlegt. Er beobachtet den moralischen
Verfall mit deutlicher Ironie, eine Besserung zu erwarten wäre
wirklich utopisch. Kurz vor dem endgültigen Niedergang der Weimarer
Republik weist Kästners politische und soziale Kritik prophetisch
auf eine schlimme Zukunft hin, die sich für ihn schon abzuzeichnen
scheint. Er selbst hat von einem Zerrspiegel gesprochen, den er als
Moralist der Gesellschaft mit seiner Geschichte vorhalten wolle.
Kein Wunder, dass die Nationalsozialisten diesen zutiefst
skeptischen Autor mit einem Veröffentlichungs-Verbot belegt und
seine Bücher als entartet verbrannt haben.
Fabian ist als Figur eher passiver Beobachter als
aktiv Handelnder, er verblüfft zudem ständig mit seiner
Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit. Etwas zu ändern jedoch, dazu
fehlt ihm Mut und Entschlossenheit. Kästner schildert das Geschehen
in einer journalistisch knappen, präzisen Sprache, wobei sich die
Handlung in weiten Teilen aus geschliffenen Dialogen heraus
entwickelt, die auszugsweise
eine veritable philosophische Zitatensammlung ergeben würden.
Neben dem üppigem Wortwitz, der da allenthalben aufblitzt, ist es
besonders die verblüffende Schlagfertigkeit, mit der hier munter
parliert wird, ans Kabarett erinnernd. Ob Satire wie diese zu neuen
Einsichten führen kann, die öffentliche Moral betreffend, darf
bezweifelt werden, damals wie heute!
4*
erfreulich - Bories
vom Berg - 1. Dezember 2020
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