NAVID KERMANI
SOZUSAGEN PARIS
Es gibt kein richtiges Leben im falschen
Der neue Roman «Sozusagen Paris» von Navid Kermani kreist auf
originelle Weise um das uralte Thema der Liebe zwischen Mann und Frau. Sein
nicht gerade konventioneller Plot, trickreich ersonnen von dem als
Intellektueller hoch angesehen Autor, erzeugt gleich zu Beginn einen heftigen
Sog, man will wissen, wohin das steuert.
«Aber nicht für Jutta» lautet der erste Satz, der von einer
attraktiven Frau um die vierzig gesprochen wird, die nach einer Dichterlesung in
einer Kleinstadt dem signierenden Schriftsteller ihr Buch hinhält. Und die,
nicht gerade alltäglich, sich selbst in dem Buch als Hauptfigur erkannt hat,
obwohl der Name natürlich verändert wurde. Als «Schulhofschönheit» hatte sie
einst mit dem Ich-Erzähler ein kurzes, aber heftiges Techtelmechtel. Und seither
fungiert sie als ewige Sehnsuchtsfigur für den Autor, der damals fünfzehn Jahre
alt war, - in den vielen Jahren dazwischen haben sie nie mehr etwas voneinander
gehört. Was man als neu aufflammende Liebesgeschichte vorausahnt, die der
Ich-Erzähler sich tatsächlich auch erhofft, das entwickelt sich im Gegenteil
zunehmend zu einem soziologischen Exkurs über die Ehe in allen ihren vielen
Aspekten. Ersteres zu thematisieren wäre profan gewesen, da erwartbar, die
eheliche Liebe hingegen ist ein weites Feld, um Fontane zu zitieren, - und ein
ergiebiges!
Der Ich-Erzähler ist geschieden, hat einen Sohn, mit dem er
sich nicht versteht, viel mehr erfährt man nicht von ihm. Autobiografische
Bezüge sind allerdings unverkennbar, das Buch in der Lesung dürfte Kermanis
Roman «Große Liebe» gewesen sein. Er spielt gekonnt mit Identitäten, spricht von
seinem «geplanten» Roman über die Begegnung mit Jutta, ein Fortsetzungsroman
mithin. Der Leser wird häufig mit einbezogen in dessen Entstehungsprozess, sogar
der Lektor des neuen Buches ist beteiligt, stellt kritische Fragen. Die
Protagonistin ist Ärztin, mit einem praktischen Arzt verheiratet, der in
Südamerika gearbeitet hat, wo sie sich einst kennen lernten. Sie haben drei
Kinder zusammen und wohnen in einer schönen Altbauvilla in einer Kleinstadt,
deren Bürgermeisterin die politisch ambitionierte Jutta ist, die sich so ganz
nebenbei auch noch als Tantra-Lehrerin betätigt. Ihr Mann ist strikt ökologisch
orientiert, treibt exzessiv Sport, hat sich zum Veganer entwickelt. Beide haben
sich mit den Jahren weit auseinander gelebt, ihre Liebe ist erkaltet, obwohl der
Sex nach wie vor für beide zufrieden stellend ist. Kermani bedient hier nahezu
alle gängigen Klischees, sprach im ZEIT-Interview allerdings von bundesdeutscher
Normalität, über die er da schreibe. Für Jutta in ihrem «Scheißkaff», wie sie
ihr Provinznest selbst manchmal nennt, steht ihr Freund von einst als freier
Schriftsteller für Gedankenreichtum, Weltläufigkeit, «sozusagen Paris», jener
Chiffre für erotische Abenteuer in der französischen Literatur.
Jutta und ihr Ex landen nach dem Essen und
einem anschließenden Rundgang durch die Kleinstadt spät in ihrer stattlichen
Villa. Die Kinder schlafen schon, der Ehemann ist noch mit seinen Abrechnungen
als niedergelassener Arzt beschäftigt, er lässt sich nicht sehen, es gab Streit.
Was folgt ist ein stundenlanges Gespräch der Beiden über vergangene Zeiten, das
sich schon bald nur noch um Juttas Eheprobleme dreht, ihre enttäuschten
Hoffnungen, den drögen Alltagstrott. Der Ich-Erzähler zitiert dabei immer wieder
aus der einschlägigen Literatur, Proust vor allem, aber auch Stendhal, Balzac
und viele andere, sogar ein Song von Neil Young ist dabei. Diese ausufernde
Intertextualität verhilft zu den verschiedensten Perspektiven und bestätigt
Adorno, es gibt kein richtiges Leben im falschen. All diese Reflexionen werden
abrupt beendet durch eine Kloszene am Ende, womit der Ich-Erzähler seinem Lektor
zuwiderhandelt, denn das Klo gehöre nun mal nicht in die
Literatur. Die so fulminant gestartete
Geschichte versickert regelrecht in langweiligem Geschwafel über die Ehe,
schade!
2*
mäßig - Bories vom Berg - 6. April 2017
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