URSULA KRECHEL
LANDGERICHT
Auch
posthum eine tragische Gestalt
Oh Gott! Schon das Coverbild
erzeugt Unbehagen, man riecht ja förmlich das Bohnerwachs. Soll man so einen
Roman lesen, aus dem Gerichtsmilieu auch noch, ist denn die Nachkriegszeit nicht
schon hinreichend thematisiert worden von Koeppen, Böll, Schlink und vielen
anderen? Nein, ist sie nicht! Aber das weiß man erst, wenn man dieses Buch
gelesen hat. Worum geht es? Ein hoffnungsvoller junger Richter wird als Jude
Opfer des Naziterrors. Er verliert seine Stellung, muss seine beiden
halbjüdischen Kinder nach England in Sicherheit bringen und schließlich selbst
ins Exil nach Kuba flüchten. Seine nichtjüdische, als Unternehmerin in der
Kinowerbung erfolgreiche Frau bleibt allein in Berlin zurück, wo man ihr mit
Drohungen ihre Firma zum Schandpreis abtrotzt. Das Paar ist aus der Bahn
geworfen worden, sie versuchen nach dem Ende dieses Albtraums in die bürgerliche
Existenz zurückzufinden, die auseinander gerissene, sich fremd gewordene Familie
wieder zu vereinen. Daran scheitern sie gründlich, und dieses Scheitern ist eine
einzige Tragödie.
Ursula Krechel erzählt in
Rückblenden von den glücklichen Berliner Jahren des Ehepaares, vom Exil des
Protagonisten in Kuba, wo er unter demütigenden Umständen bei einem schmierigen
Rechtsanwalt arbeitet, eine Geliebte findet und mit ihr ein Kind hat, das er
aber nie sehen darf. Alles in Kornitzers Leben ist von Brüchen gekennzeichnet,
er ist und bleibt ein Aus-der-Bahn-Geworfener, der sich nach Rückkehr und
beruflicher Wiedereingliederung allmählich immer mehr in einen aussichtslosen
Kampf mit der Bürokratie hineinsteigert, damit sogar seine Gesundheit ruiniert,
nur um seine legitimen Ansprüche auf Wiedergutmachung durchzusetzen. Aber auch
hierbei scheitert er letztendlich und stimmt schließlich resigniert einem
Vergleich zu. Das eigentliche Leben hat er total versäumt, hat wertvolle Jahre
sinnlos vertrödelt bei der Suche nach Gerechtigkeit in eigener Sache. Hier liegt
für mich das eigentliche Dilemma Kornitzers, dieses überkorrekten Juristen, der
an der kalten Logik von Gesetzen und Vorschriften scheitert, die er selbst, als
Richter, akkurat und folgerichtig angewendet hat.
Was ist nun das Besondere an diesem
Buch? Diese Geschichte geht einem unter die Haut, mir jedenfalls, und zwar wie
schon lange keine andere mehr. Man ist tief betroffen, denn es gelingt der
Autorin mühelos, einem die Protagonisten sehr nahe zu bringen, fast schon zu
nahe. Es ist die Ohnmacht des Menschen vor den geschichtlichen Ereignissen, die
Ironie des Schicksals, die bitteren Erfahrungen und Enttäuschungen, die dieses
Leben begleiten, und alles das wird hier in einer unspektakulären, ruhigen, fast
juristisch sachlichen Sprache erzählt, der man gleichwohl die Empathie anmerkt,
mit der die Figuren geradezu liebevoll beschrieben werden. In dieser schönen
Prosa hat für mich des Öfteren die Lyrikerin durchgeschimmert, deren Sprache mir
fast ein wenig zaghaft erscheint, indem sie zum Beispiel sehr häufig
fußnotenartig in Klammern gesetzte Anmerkungen, Relativierungen, auch Zweifel in
den Text einschiebt, sehr häufig mit einem Fragezeichen endend. Genau dieses
Fragezeichen aber setzt beim Leser die Bereitschaft voraus, mitzudenken und auch
weiterzudenken.
Noch eine Anmerkung zum Schluss des
Romans: Kornitzer ist gestorben, da erhält Sohn George ein Schreiben mit dem
Briefkopf «Biografisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933»,
das die Bitte enthält, einige Angaben zu Lebensdaten seines verstorbenen Vaters
beizutragen, damit er in die geplante Enzyklopädie aufgenommen werden kann. Der
von seinem Vater völlig entfremdete George aber bleibt merkwürdig untätig, zum
Entsetzen seiner Frau, die absolut nicht verstehen kann, warum er ihm diese
letzte Ehre nicht erweist. Das Handbuch erscheint schließlich, aber Dr. Richard
Kornitzer kommt darin nicht vor, und so bleibt er auch posthum eine tragische
Gestalt.
4* erfreulich
- Bories vom Berg - 10. Dezember 2012
© Copyright 2012
® Schriftliche Danksagung eines Lesers
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