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ERNST KREUDER

 

DIE GESELLSCHAFt

 

VOM DACHBODEN

 

Ernst Kreuder - Die Gesellschaft vom DachbodenVom Griff in die hinterste Reihe

 

«Meine Zeit wird kommen» hat der Komponist Gustav Mahler, der letzte Romantiker nach eigenem Bekunden, einst prophezeit, und er sollte Recht behalten, die Wiederentdeckung seines sinfonischen Werkes mehr als fünfzig Jahre später verlief triumphal. Dem literarischen Werk Ernst Kreuders ist eine solche späte Anerkennung, bisher jedenfalls, versagt geblieben, er gehört zu den vergessenen Literaten, ein Los, das er mit vielen anderen teilt. Wer die Erzählung «Die Gesellschaft vom Dachboden» gelesen hat, 1946 erschienen, das bekannteste und seinerzeit erfolgreichste Buch des mit dem Büchner-Preis geehrten Autors, dürfte über die Ignoranz des lesenden Publikums unserer Tage ins Grübeln kommen. Eine Haltung übrigens, die jeden Verlag zögern lässt, solche alten Schätze in Neuauflage noch einmal herauszubringen, was natürlich schade ist.

 

Kreuder gehört zu den romantischen Dichtern, seine Erzählung über eine Gruppe von «Aussteigern«, wie man heute sagen würde, ist ebenso gesellschaftskritisch wie mystisch, sie trägt darüber hinaus unverkennbar märchenhafte Züge. Den wundersamen Plot zu erzählen erspare ich mir, nur soviel sei verraten: Der Dachboden eines Kaufhauses, voll gestellt mit Gerümpel, dient einer illustren Gruppe von Männern als Treffpunkt und Unterkunft. Man gründet einen «Bund der Sieben», beschließt ein Programm für die Gruppe und definiert als deren Tugenden Aufrichtigkeit, Anhänglichkeit, Beharrlichkeit, Barmherzigkeit, Überschwänglichkeit, Friedfertigkeit und Unüberwindlichkeit. Ich-Erzähler Berthold, dessen Erlebnisse die Handlung bilden, ist Schriftsteller, in seinen Ansichten und seiner Haltung ein Alter Ego von Ernst Kreuder. Alle Protagonisten sind ebenso wundersame wie urige Gestalten, von ihm liebevoll charakterisiert und darüber hinaus dargestellt als krasse Gegenentwürfe zu den Normalbürgern, die nicht zu leben verstünden. «Viele leben gar nicht, denn sie haben keine Zeit. Sind wie Leichen, die man auf Arbeit schickt. Die Städte sind voll davon, nur die Sucht nach Genüssen bewirkt, dass sie sich regen, dass sie zappeln und toben».

 

Der Wortführer der Gruppe, der gerne Reden hält und sich dabei oft ins Pathetische verliert, resümiert an einer Stelle, auch wenn «Dostojewski versichert hatte, es gäbe für ihn nichts Dümmeres als eine Tatsache», seien alle modernen Schriftsteller gleichwohl doch «Tatsachenschreiber». An anderer Stelle heißt es ergänzend: «Dummheit ist der Mangel an Phantasie». Genau den aber kann man Kreuder nicht vorwerfen, seine Erfindungsgabe scheint grenzenlos, er phantasiert sich unbeeindruckt von den Fakten einer «physikalischen Welt» seine ganz eigene «metaphysische Welt», die keiner Logik unterworfen ist, ohne aber ins naiv Utopische abzugleiten.

 

All das wird in einer angenehm zu lesenden, klaren und schnörkellosen Sprache ohne jedes literarische Raffinement vor dem Leser ausgebreitet, was in einem durchaus reizvollen Kontrast steht zu dem traumhaften, weltfremden Geschehen, über das da so nüchtern und sachlich berichtet wird. Zweifellos aber ist diese Geschichte nicht als Parodie gedacht oder als Märchen für Erwachsene, Kreuder erfüllt damit seine ganz eigene Mission, die Bloßstellung gesellschaftlicher Fehlentwicklungen, das Anprangern einer sinnentleerten Lebensweise und der kollektiven Blindheit für das elementar Schöne in der Welt. Insoweit also ein Buch zum Träumen, aber auch zum Nachdenken, zum Weiterdenken. Mir haben besonders die Passagen gefallen, in denen es um Literatur geht und Kreuder so manchen Seitenhieb auf die Kollegen seiner Zunft austeilt, denen er Phantasielosigkeit unterstellt, dabei aber die Erwartungshaltung der Leserschaft ignorierend. Auch über die verblüffende Selbstverständlichkeit, mit der die aberwitzigsten Situationen geschildert werden, musste ich oft schmunzeln, was ja schön ist und den Lesegenuss angenehm erhöht. Manchmal, das hat sich hier gezeigt, lohnt sich der Griff in die hinterste Reihe des Bücherschranks eben doch, einer allgemeinen Wiederentdeckung allerdings dürfte der Zeitgeist entgegenstehen.

 

3* lesenswert - Bories vom Berg - 11. Juli 2014

 

 

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