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JUDITH KUCKART

 

DIE VERDÄCHTIGE

 

Ein Krimi-Märchen

 

Der durch seinen Titel «Die Verdächtige» vordergründig als Krimi erscheinende Roman von Judith Kuckart versucht, den Spagat zwischen Spannung und menschlicher Selbstverlorenheit in seinem Plot zu realisieren. Ein Genre-Mix also, der nüchterne Polizeiarbeit mit der psychischen Unbehausheit seiner Figuren verbinden will, Rationales mit Mentalem. Eine ebenso kühne wie schwierige Gradwanderung, bei der die Gefahr besteht, dass Beides sich gegenseitig eher behindert.

 

«Sie saß mit dem Rücken zur Tür. Der Kragen eines altmodischen Mantels fiel ihr wie ein riesiges Rhabarberblatt über die Schultern». Die da im Polizeirevier sitzt heißt Marga Burg, eine hübsche Frau Ende dreißig, die eine Vermisstenanzeige aufgeben will. Ihr Freund sei vor zwei Wochen mit ihr auf der Kirmes gewesen und allein in die Geisterbahn gestiegen, dann aber nicht mehr herausgekommen. Es fehle seither jedes Lebenszeichen von ihm. Fälle wie dieser erweisen sich in Wahrheit allerdings gar nicht so selten als ein eleganter Abgang in ein komplett neues Leben. Der Fall wird Robert, dem Kommissar, der aussieht wie George Clooney, und seiner Kollegin Nico vom Morddezernat übertragen. Die üblichen Nachforschungen beginnen, Nachbarn, Kollegen, die Ex-Frau werden befragt, Telefon und Bankkonto überprüft. Es gibt keinerlei Hinweise, ob er noch lebt, aber auch keine Anhaltspunkte für ein Gewaltverbrechen oder für Suizid. Insoweit ist der Plot genretypisch mit dem üblichen Spannungsbogen aufgebaut, das Besondere hier aber sind die handelnden Personen.

 

Marga ist eine eher seltsame Frau vom Typus Traumtänzerin, die mit ihrer Psyche im Verlauf der Geschichte sehr viele Rätsel aufgibt. Der melancholische Schönling Robert ist kürzlich erst von seiner Frau verlassen worden und stimmungsmäßig in ein tiefes Loch gefallen. Er weiß nichts anzufangen mit seinem Leben und meldet sich freiwillig zu den sonst eher unbeliebten Sonntagsdiensten, weil er nicht einsam zuhause herumsitzen will. Wie zu erwarten landet der Frauenversteher mit seiner Zeugin, die dann allmählich zur «Verdächtigen» wird, schon bald im Bett. In das Personen-Karussell um das Verschwinden einbezogen ist auch Roberts Ex-Frau, die ihn plötzlich sogar wieder anmacht, ferner eine hilfsbereite Nachbarin, die sich überraschend als Margas Arbeitskollegin entpuppt, und schließlich Margas adipöser, geistig zurückgebliebener Bruder, mit dem sie zusammenlebt. Zusätzlich bindet die Autorin auch die Geisterbahn mit ein, denn Marga ist auf einmal ihrerseits abgetaucht, sie hat ihren Job beim Straßenverkehrsamt einfach hingeschmissen. Robert findet sie dann nach einem Hinweis beim Betreiber der Geisterbahn, der inzwischen in eine andere Stadt weitergezogen ist. In dem gruseligen Fahrgeschäft hat sie die Rolle der ‹kalten Hand› übernommen, erschreckt also die Leute während der Fahrt mit ihrer auf einem Kühlakku temperierten, eisigen Hand.

 

Mit dem besonderen Augenmerk auf die ewig rätselhafte Anziehungskraft der Geschlechter wird hier, durch märchenhafte Einblendungen ergänzt, eine elegische Geschichte über Wünsche und Ängste erzählt, über Glückssuche und Verlassenheit, letztendlich aber auch über den Sinn all dessen. Verzauberung und brutale Ernüchterung wechseln sich dabei ständig ab, mit der Geisterbahn hat Judith Kuckart dafür ein stimmiges Sinnbild gefunden. Ihre Stärke ist der scharfe Blick, mit dem sie selbst kleinste Details in Mimik und Gestik ihrer Figuren beschreibt. Ihr narrativer Stil ist durch eine starke poetische Suggestivkraft geprägt, die den Leser in Bann zu ziehen vermag. Die Metapher vom Verschwinden und Neuanfang mündet hier in die Erkenntnis, dass man seiner Veranlagung nicht entkommen kann. Sogar das Paradoxon der Kälte-Idiotie ist in Form einer kurzen Vortragsreise von Robert in die Geschichte eingebaut, es dient der Verdeutlichung des schicksalhaft Vorgegebenen. All diese psychologischen Tiefen-Schürfungen jedoch mindern den Roman leider zu einem eher misslungenen Krimi-Märchen herab.

 

2* mäßig - Bories vom Berg - 26. Juli 2021

 

 

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