THOMAS
KUNST
ZANDSCHOWER
KLINKEN
Ist
das Kunst oder kann das weg
Unter den Finalisten für den Deutschen Buchpreis
befindet sich auch der Roman «Zandschower Klinken» von Thomas Kunst.
Nomen est omen, denn was der Autor mit seinem Buch geschaffen hat,
das ist zweifellos surreale Kunst. Alle Finalisten «zeigen
den stilistischen, formalen und thematischen Reichtum der
deutschsprachigen Gegenwarts-Literatur und zeugen von der immensen
Lust und
hohen Könnerschaft, Geschichten zu erzählen»,
hat die diesjährige Jury selbstbewusst erklärt. Ihren Mut muss man
anerkennen, denn diese schräge, versponnene Aussteiger-Geschichte
ist überaus verstörend, wie die verblüfften Kommentare in Feuilleton
und Leserschaft beweisen.
Der Plot, soweit man hier von einem solchen reden
kann, beginnt an einem Dorfteich. Bent Claasen wurde von der
Freundin verlassen, sein Hund ist gestorben, er will nur noch weg.
Wohin, das überlässt er dem Zufall, er wird dort bleiben, wo während
der Autofahrt das Halsband des Hundes vom Armaturenbrett
herunterfällt. Zandschow heißt das fiktive Kaff im Norden
Deutschlands, nahe der Autobahn A7, in dem er schließlich landet.
Außer dem Feuerlöschteich gibt es noch Getränke-Wolf als Treffpunkt
des Ortes, wo es einen freien Internetzugang nach «Sansibar» gibt.
Auf dem Teich werden jeden Donnerstag zwanzig Plastik-Schwäne
ausgesetzt, unter künstlichen Palmen werden «Lagune-Festspiele»
gefeiert, stündlich setzt ein Boot zu der Insel in der Mitte über.
«Wir haben uns angewöhnt, sowohl Frauen als auch Männer an den
Tagen, an denen wir dazu neigen, den Indischen Ozean mit unseren
Füßen zu betreten, den Indischen Ozean in Zandschow mit unseren
Füßen zu betreten». Was wie eine Stilblüte anmutet, ist die
spezifische, eigenwillige Sprache von Thomas Kunst, in der er aus
seiner fantastischen Traumwelt erzählt. In ihr fungiert das Dorf als
Fluchtpunkt aus einer fremd gewordenen, globalisierten Welt, «Zandschow
ist Sansibar» erfährt der Leser, «Und Sansibar ist weder ein
paradiesischer militärischer Stützpunkt noch sonst wo. Die wenigsten
von uns gehen einer geregelten Tätigkeit nach. Die meisten beziehen
Stütze. Wir kriegen die Zeit trotzdem rum». Das Motto dieser
alternativen Dorfgemeinschaft ist «Freude und Genussfähigkeit, die
sich auf Armut und Fantasie gründen».
In kurzen Bildergeschichten wird hier anekdotisch
in unbeirrt ritualisierter Sinnfreiheit aus einem eigenwilligen
Soziotop von skurrilen Leistungs-Verweigerern berichtet. Auf die
dabei zum Ausdruck kommenden Verlusterfahrungen weist schon das dem
Buch vorangestellte Zitat von John Cheever hin, Derartiges sei das
«brauchbare Vorgefühl auf den Tod». Stilistisch prägend sind in
diesem renitent alle Konventionen des Erzählens negierenden,
dadaistischen Roman die ständig wiederholten Satzkaskaden, die den
Text als eine Art Prosa-Gedicht erscheinen lassen. Gefühlt mehr als
hundertmal heißt es zum Beispiel wenig originell nach Aufzählungen:
«Aber in umgekehrter Reihenfolge». Das ungehemmte Fabulieren und
Phantasieren geschieht in wilden Sprüngen und sprachlichen
Verrenkungen, die in ihrer Redundanz zuweilen an Lyrik erinnern, mit
einer auf die Prosa angewandten, rhythmischen Musikalität. In diesem
Verwirrspiel werden ständig neue Assoziationen erzeugt und
kulturelle wie auch historische Bezüge hergestellt, die meistens
jedoch schwer oder gar nicht zu entschlüsseln sind, geschweige denn
zu deuten.
Mit seiner rigorosen Umkehr der
Logik verlangt dieser in jeder Hinsicht radikale, geradezu
widerborstige Roman seinen Lesern nicht nur sehr viel ab, er
überschreitet häufig sogar recht deutlich die Grenze des Lesbaren,
und literarisch damit auch des Zumutbaren. Man ist an die Anekdote
um die Fettecke von Joseph Beuys erinnert, bei dem eine beherzte
Putzfrau in der Düsseldorfer Kunstakademie auf die schwierige Frage
«ist das Kunst oder kann das weg» eine gut nachvollziehbare Antwort
gefunden hat. Mag die Buchpreis-Jury noch so jubeln, was man hier
liest ist nichts anderes als eine literarische Zumutung!
1* miserabel -
Bories vom Berg - 30. Oktober 2021
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