THOMAS
LANG
AM SEIL
Fanal
selbstbestimmten Sterbens
Den Text, der als erfolgreiche Kurzgeschichte
2005 den Ingeborg Bachmann Preis gewann, hat Thomas Lang mit fünf
vorgeschalteten Kapiteln zu dem Roman «Am Seil» ergänzt. Darin wird
nun in einem kammerspiel-artigen Setting geschildert, wie es zu dem
in Klagenfurt prämierten, ebenso komplexen wie dramatischen Ende
einer schwierigen Vater/Sohn-Beziehung
kam.
Auf einem gestohlenen Motorrad kommt der bekannte
TV-Moderator Gert nach jahrelanger ‹Funkstille› zum ersten Mal zu
Besuch ins Altenpflegeheim seines Vaters Bert. Beide sind an einem
Punkt ihres Lebens angelangt, aus dem nur noch der Tod als Ausweg zu
bleiben scheint, was denn auch den Buchtitel erklärt. Vater Bert war
Lehrer für Englisch und Sport, ist schon seit Jahren von seiner Frau
geschieden und inzwischen körperlich sehr hinfällig. Sein 45jähriger
Sohn Gert hatte durch eine für ihn glückliche Verwechslung
überraschend Karriere beim Fernsehen gemacht. Er wurde aber nach
vielen erfolgreichen Jahren fristlos gefeuert, weil er sexuell
übergriffig wurde und kurz darauf dann auch noch einen Autounfall
verschuldet hat, bei dem seine minderjährige Geliebte umkam. Er ist
nicht nur seelisch, sondern auch finanziell in ein tiefes Loch
gefallen.
Mit scharfem Blick für Details wird die
Figuren-Konstellation von einem sportlichen, herrischen Vater, der
seinen körperlichen Verfall nicht akzeptieren kann, und seinem
kunstbeflissenen, aber völlig untalentierten Sohn entwickelt.
Letzterer ein Verlierer-Typ, dem das Glück nur einmal im Leben hold
war und der nun in Selbstmitleid zerfließt. Beide Männer stehen vor
einem Scherbenhaufen und haben sich absolut nichts mehr zu sagen.
Thomas Lang erzählt multi-perspektivisch abwechselnd aus Sicht des
penetrant besserwisserischen Vaters und des verweichlichten Sohnes
vom Hass der Beiden aufeinander, der sich in einem Plot artikuliert,
der chronologisch nicht länger als ein kurzes Zweipersonen-Stück
beim Theater andauert. Die phonetische Ähnlichkeit der beiden
Vornamen deutet trotz allem auf eine gewisse
Charakter-Verwandtschaft der ungleichen Protagonisten hin. Denn Bert
und Gert haben beide, so kristallisiert es sich für den Leser
allmählich heraus, und der Buchtitel deutet es ja auch an, nur noch
ein Ziel, welches sie ganz unerwartet doch noch eint. Bert ist
nämlich bis ins Mark erschüttert, weil ‹seine› ihn besonders
liebevoll umsorgende Pflegerin niedergeschlagen verkündet hat, dass
sie entlassen wurde. Die Beschreibungen der Alters-Gebrechen und die
Ohnmacht des in dem Pflegeheim nur noch dahinvegetierenden Vaters
werden durch die wortkargen, geradezu zynisch knappen Dialoge mit
dem Sohn eindrucksvoll verdeutlicht.
In der minutiösen Schilderung des auf pure
Zweckmäßigkeit hin ausgerichteten Pflegeheims fällt besonders ein
Gemälde des Russen Kasimir Malewitsch auf, das den Titel «Das
schwarze Quadrat» trägt und im Buch, nicht ohne tieferen Grund,
erwähnt wird. Es unterstreicht nämlich auf optische Weise die ganz
ähnlich auf eine narrative «Empfindung der Gegenstandslosigkeit»
ausgerichtete Diktion des Autors. Die psychisch desolate Verfassung
der Figuren korrespondiert mit einer stilistischen Kargheit, deren
wie in Zeitlupe ablaufende Beschreibungen einer
Seniorenheim-Tristesse sich weitgehend an scheinbar Insignifikantem
abarbeiten. Ohne Zweifel handelt es sich hier vom Genre her übrigens
um eine geradezu archetypische Novelle, nicht um einen Roman, auch
wenn das sich weit besser verkauft. Mit der Thematik des
selbstbestimmten Todes nach einem langen, ereignislosen Leben, dem
konträr beim Sohn ein intensives, in vollen Zügen genossenes
gegenübersteht, wird hier ein uraltes moralisches Problem
behandelt. Die wahrhaft groteske Schlussszene ist wie das Fanal
eines völlig unhaltbaren, gesetzlichen Zustandes, der schmerzlich an
das einst erbittert umkämpfte Abtreibungs-Verbot erinnert.
Literarisch allerdings wirkt dieses Buch leider ziemlich willkürlich
zusammen montiert, sprachlich oft misslungen und als Ganzes völlig
inhomogen.
1* miserabel -
Bories vom Berg - 31. Januar 2022

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