CHRISTUS KAM NUR BIS EBOLI
Der Ruhm des italienischen Schriftstellers Carlo Levi gründet sich heute ausschließlich auf seinen 1945 erschienenen, stark autobiografisch geprägten Roman «Christus kam nur bis Eboli», der in 37 Sprachen übersetzt und später dann auch verfilmt wurde. Der in Turin geborene Autor und Maler stammte aus großbürgerlichen Verhältnissen und studierte Medizin, wandte sich aber schon bald der Malerei zu und engagierte sich politisch. Als Antifaschist wurde er 1934 verhaftet und in die Verbannung nach Lukanien geschickt, in die Provinz Matera der heutigen Region Basilicata, wo er sich als Konfinierter zunächst in dem Städtchen Grassano und vom September 1935 bis Mai 1936 in dem Dorf Aliano aufhalten musste. Seine Beobachtungen und Erlebnisse dort hat er fast zehn Jahre später dann im Palazzo Pitti in Florenz niedergeschrieben, wobei das Romandorf den leicht verfremdeten Namen Galiano erhielt.
Allein prägend für diesen Roman, das habe ich beim zweiten Lesen nach vielen Jahren erneut festgestellt, sind die darin geschilderte Zustände einer archaische Gesellschaft im Mezzogiorno vor mehr als acht Jahrzehnten. Armut und Elend damals übersteigen das Vorstellungsvermögen heutiger Leser bei Weitem, und so wundert man sich denn auch nicht, dass die Einwohnerzahl von Aliano sich von 1951 bis 2001 auf 1284 Einwohner fast halbiert hat, eine hoffnungslose Entwicklung, die tief blicken lässt. Die Ursachen dafür reichen weit zurück, Levi ist als zeitgenössischer Berichterstatter damals jedenfalls entsetzt über eine süditalienische Gesellschaft, die seiner norditalienischen so gar nicht ähnlich ist. Mit scharfem Blick für kleinste Details und einer beeindruckenden Menschenkenntnis beschreibt er seine neue ländliche Umwelt sehr liebevoll, aber aus kritischer Distanz. Besonders gelungen sind seine Figuren, die er uns in großer Zahl, geradezu medizinisch sezierend, physisch vor Augen führt, deren Wesen er aber nicht minder genau auch psychisch durchleuchtet, ihre Fehler, Schwächen und Macken wie auch ihre liebenswerten Seiten.
Die praktisch nicht vorhandene medizinische Betreuung der in unsäglichem Elend lebenden Bauern, die ihrem kargen Boden in einer malariaverseuchten schroffen Landschaft nur armseligste Erträge abringen können, zwingt Levi trotz Verbot, als Arzt tätig zu werden, obwohl ihm jede praktische Erfahrung fehlt. So lernt er unfreiwillig nicht nur die erschreckenden hygienischen Zustände hautnah kennen, unter denen die Landbevölkerung leben muss, er hört auch von seltsamen Bräuchen und wird mit dem weit verbreiteten Aberglauben konfrontiert, für dessen märchenartige Mystik mit Hexen und Gespenstern das Christentum nur eine unter vielen Spielarten ist. Die titelgebende Redensart der lukanischen Bauern «Cristo si è fermato a Eboli» verdeutlicht somit die völlige Abgeschiedenheit im Mezzogiorno, Rom ist weit und ihnen feindlich gesinnt, man fühlt sich benachteiligt, abgehängt, vergessen, ohne etwas daran ändern zu können. Die Briganten des 18ten Jahrhunderts als Vorbild, bricht bei diesem verschlossenen Menschenschlag gelegentlich schon mal der Volkszorn durch, wird ein Carabiniere ermordet oder ein anderer Quälgeist der feindlichen Obrigkeit, - ohne dass sich allerdings etwas ändert dadurch, wie man resignierend erkennen muss.
Der handlungsarme Roman dient seinem Autor zu Reflexionen über die Zustände im Mezzogiorno, für die er einzig die Politik verantwortlich macht. Die Welt der Bauern dort sei seit ewigen Zeiten unveränderlich, nur weitgehende Autonomie könne dort etwas bessern. In Skizzen und Anekdoten wird hier essayartig eine knapp einjährige Verbannung beschrieben, die durch eine Generalamnestie vorzeitig endet. Der Thematik nach ist die Lektüre zwar bereichernd, ruhig erzählt zudem, aber nicht gerade erfreulich zu lesen, humorfrei außerdem, zuweilen sogar verstörend in ihrer distanzierten Erzählweise. Ohne Zweifel ein ganz besonderes Stück Literatur mit einem sehr eigenständigen Duktus.
3* lesenswert - Bories vom Berg - 8. Dezember 2016
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