MICHAEL
MAAR
DIE SCHLANGE IM
WOLFSPELZ
Von
den Ursachen getrübter Lesefreude
Die Reihe nützlicher Sachbücher zum
Thema Literatur ist von Michael Maar mit «Die Schlange im
Wolfspelz», einem bei Eva Menasse entlehnten Titel, jüngst um ein
populäres Werk ergänzt worden. Der
Untertitel «Das Geheimnis großer Literatur» weist auf das durchaus
ambitiöse Vorhaben hin, Licht ins Dunkel der Buchstaben-Kunst zu
bringen. Wobei der Autor sich als Germanist, wen wundert’s, auf
die
deutsche Literatur beschränkt. Wer also als Leser in seiner Lektüre
mehr sieht als nur einen angenehmen Zeitvertreib, wer sich über die
Finessen eines gekonnten Schreibstils umfassend aufklären lassen
will, der wird in diesem informativen Buch fündig. Um dann, deutlich
besser gerüstet, in künftige Leseabenteuer aufzubrechen.
Diese Stilkunde beginnt denn auch gleich, die
Frage «Was ist Stil?» mit vielen Textbeispielen systematisch und
unterhaltsam zu klären. Was sind denn wohl die Fallstricke, die beim
Schreiben auf den Autor warten? Um zu verdeutlichen, was denn Stil
überhaupt ist, zitiert Maar eine kurze Passage aus Daniel Kehlmanns
Roman «Die Vermessung der Welt». Darin wird Humboldt von seinen
Ruderern gebeten, etwas zu erzählen. Er könne, bietet er ihnen an,
das schönste deutsche Gedicht für sie ins Spanische übersetzen:
«Oberhalb aller Bergspitzen sei es still, in den Bäumen kein Wind zu
fühlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald wird man tot sein». Die
Zuhörer sind verblüfft. Aber er hat alles richtig gemacht, er hat
genau das erzählt, was Goethe, als «Wanderers Nachtlied», 1870 an
die Holzwand einer Jagdhütte geschrieben hatte. Inhaltlich also
gleich, nur stilistisch nicht! «Über allen Gipfeln / ist Ruh, / in
allen Wipfeln / spürest du / kaum einen Hauch; / die Vöglein
schweigen im Walde. / Warte nur! Balde / ruhest du auch.»
Einprägsamer kann man die Funktion von Inhalt und Stil in der
Literatur wohl kaum demonstrieren. Und solche anschaulichen
Beispiele gibt es ungewöhnlich viele in diesem Buch! Inhalt und
Stil, so lernen wir, kann man eben nicht trennen voneinander. Sie
gehören zusammen, bilden eine künstlerische Einheit, die, wenn alles
perfekt aufeinander abgestimmt ist, zu großer Literatur werden kann.
Mit vielen Porträts ganz unterschiedlicher
Schriftsteller verdeutlicht Maar in unzähligen Textauszügen
sprachliche Besonderheiten. Satzbau, Wortwahl, Sprach-Rhythmus,
Dialoge, gekonnt eingesetzte Metaphorik oder einprägsame Leitmotive
sind Bausteine, aus denen wahre Prosa-Kathedralen entstehen können,
wenn Sprachgenies die Baumeister sind. Trotz aller akademischen
Bemühungen bleibt die Beurteilung von Sprachkunst aber ein eitles
Unterfangen. Das weiß der Autor auch, und so finden sich bei seiner
oft sehr strengen Kritik häufig Anmerkungen wie «Die
Arno-Schmidt-Jünger werden laut Protest erheben». Es bleibt also
auch nicht aus, dass man als Leser manchen Einwand partout nicht
nachvollziehen kann. Aber das ist völlig normal und mindert den Wert
dieses Literatur-Führers keineswegs. Die Auswahl der als Referenz
herangezogenen Schriftsteller ist, Germanisten können wohl nicht
anders, zudem derart vorvorgestrig, dass man als heutiger Leser
viele nie gelesen hat, bei einigen nicht mal ihren Namen kennt. Umso
erstaunter ist man dann, wenn plötzlich Hildegard Knef auftaucht,
deren Autobiografie von Michael Maar stilistisch sehr gelobt wird, -
nicht zu unrecht übrigens, wie einige Textzitate zeigen.
Wer einigermaßen belesen ist, wird natürlich auch
manches finden, bei dem er mitreden, seine Meinung mit dem
vergleichen kann, was Maar, oft durchaus scharfzüngig, darüber
schreibt. En passant erfahren wir zudem, dass Goethe mit
ausgezählten 90.000 Wörtern den höchsten je gemessenen deutschen
Wortschatz hatte. Trotzdem sind «Die Wahlverwandtschaften» kein
Roman, den heute jemand freiwillig lesen würde, Wortschatz ist eben
nicht alles! Schlechten Stil aber dürften aufmerksame Leser nach der
Lektüre dieses Ratgebers deutlich besser entlarven können als eine
Ursache getrübter Lesefreude!
4*
erfreulich - Bories vom Berg
- 7. Mai 2021
© Copyright 2021
|