BARBI
MARKOVIĆ
MINIHORROR
Amüsante
literarische Avantgarde
Mit dem neugierig machenden Titel «Minihorror»
hat die in Belgrad geborene Schriftstellerin Barbi Marković kürzlich
den Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen. Die Jury
lobt das Buch mit den Worten: «Rasant, seriell und pop-affin – so
ist Barbi Markovićs neues Buch, das man wie im Rausch ohne
Unterbrechung an einem Stück lesen will. Denn der Genuss ihrer
witzigen und scheinbar so einfachen Sätze, die die absurde Fallhöhe
zwischen Alltag und existenzieller Weltlage ausmessen, soll bitte
nicht enden.» Während das Feuilleton ebenfalls jubelt, sprechen die
negativen online Leser-Bewertungen bei Amazon mit auffallend hohen
41% «gefällt mir nicht» oder «gefällt mir gar nicht» eine ganz
andere Sprache. Was stimmt denn nun, fragt man sich verunsichert.
Mini und Miki heißen die Protagonisten dieses
Erzählbandes, den der Verlag wohlweislich nicht als Roman
bezeichnet, obwohl alle Buch-Besprechungen genau das tun. Es handelt
sich vielmehr um 27 surreale, phantastische Kurzgeschichten,
episodisch aneinander gereiht in loser Folge. Ergänzt werden diese
Texte um «Bonusmaterial» in Form einer kurzen Gastgeschichte von
Mercedes Kornberger, einer Rollenspiel-Anleitung von Thomas
Brandstetter und 105 grafisch angereicherten, ebenfalls absurd
komischen Gedankensplittern der Autorin. Mit Horror ist das
alltägliche Chaos unseres aktuellen, städtischen Lebens gemeint. Die
Namen der Protagonisten erinnern an die berühmten und nicht minder
komischen, schrägen Maus-Figuren von Walt Disney. Auch die lassen
ja, wir erinnern uns, kein Fettnäpfchen aus, in das sie treten
können. Hier jedoch herrscht «Minihorror», stehen die beiden
Protagonisten sich meistens selbst im Wege, ständig bedroht von
Monsterwesen, Zombies, vielen Alltagsdramen und anderen Gefahren
mehr. Die führen oft nicht nur zu wahnwitzigen Schwierigkeiten,
sondern enden nach abenteuerlichen Wendungen meist ziemlich
überraschend in urkomischen Katastrophen. Kurz gesagt wird hier die
scheinbare Wirklichkeit ad absurdum geführt, werden kafkaeske
Situationen humoristisch geschildert, ohne die allgegenwärtige,
beklemmende Tragik im Hier und Jetzt damit negieren zu wollen, ganz
im Gegenteil!
Das virtuose Spiel der alle Erzählkonventionen
außer Acht lassenden Autorin ist ein literarischer Spaß, der sich
einer miesepetrigen, literatur-wissenschaftlichen Analyse und
Bewertung entzieht. Es gibt hier keinen roten Faden, nur lose
ineinander verknüpfte Szenen im Leben des tragikkomischen Paares,
das sehr wohl mit den Fährnissen des Lebens vertraut ist, sich dann
misstrauisch aber immer wieder wundert, wenn doch mal alles gut zu
gehen scheint. All das passiert im realen Leben der Figuren, nicht
in irgendwelchen Horrorkulissen, sondern tatsächlich in den
Wohnstuben und an den Arbeitsplätzen. Und überhaupt. die Arbeit gibt
den Takt vor im Leben der Figuren dieses Buches, die sich
orientierungslos in einer konsumgetriebenen Tretmühle befinden,
deren Ausweglosigkeit sie sich aber sehr wohl bewusst sind.
Auch in diesem fünften Buch von Barbi Marković
zeigt sich wieder ihre literarische Coolness. Sie punktet mit ihrer
höchst eigenwilligen und prägnanten Erzählweise, die inzwischen
geradezu ein Markenzeichen der Autorin geworden ist. Wenn von ihr
sprachliche Bilder zum Beispiel einfach wörtlich genommen werden,
immer nach dem Motto ‹mal sehen, was dann passiert.› Sie beleuchtet
mit ironischem Unterton die Abgründe der modernen
Leistungs-Gesellschaft und lehrt uns dabei das Gruseln. Scheinbar
mühelos entlarvt sie nicht nur die Zerbrechlichkeit ihrer beiden
Protagonisten, sie zeigt sie, und damit uns alle, als regelrechte
Witzfiguren. Sind wir das wirklich? Erleben auch wir diese Albträume
am Arbeitsplatz, im Familienleben, in der Paarbeziehung, im
Supermarkt, bei Ikea, auf Partys, beim Friseur, im Urlaub und im
Beisl? Nach der Postmoderne trifft der aufnahmefähige und -willige
Leser hier auf eine amüsante, mit leichter Hand geschriebene,
avantgardistische Lektüre, die ihn, aller Voraussicht nach, sogar
bereichern dürfte!
4* erfreulich - Bories vom Berg - 5.
Juni 2024
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