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ROBERT MENASSE

 

DIE ERWEITERUNG

 

Googeln sinnlos

 

Mit «Die Erweiterung» hat der österreichische Schriftsteller Robert Menasse nach fünf Jahren den zweiten Band seiner als Trilogie geplanten, großen EU-Erzählung vorgelegt. Der Roman stellt keine Fortsetzung des 2017 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Erfolgsromans «Die Hauptstadt» dar. Er befasst sich vielmehr, worauf schon der Buchtitel hinweist, mit EU-Beitrittswünschen von Ländern des Westbalkans, hier speziell von Albanien. Insbesondere Polen lehnt aber die Aufnahme eines muslimischen Landes in die Europäische Union vehement ab. Nach Brüssel, Zentrale dieses aberwitzigen Bürokratie-Molochs, liegt jetzt also der Fokus des europäisch engagierten Autors auf den Außenrändern der Gemeinschaft. Für die anstehenden Erweiterungen hat die EU eine eigene Behörde geschaffen, der Moloch wächst also munter weiter.

 

Der umtriebige albanische Ministerpräsident verfolgt für die Verhandlungen mit Brüssel eine nationalistische Strategie. Er will ein ‹Groß-Albanien› schaffen mit den mehrheitlich albanischen Regionen im Kosovo, West-Mazedonien und anderen Randgebieten, quasi eine albanische Gemeinschaft von Regionen innerhalb der Europäischen Union. Symbol für ‹Groß-Albanien› soll der Helm des albanischen Volkshelden Skanderbeg werden, der aber leider im Besitz eines Museums in Wien ist und dort ausgestellt wird. Restitutions-Ansprüche wurden geltend gemacht, blieben aber erfolglos. Um Druck in Brüssel zu machen weist der albanische Ministerpräsident ferner darauf hin, dass China großes Interesse an den wertvollen, seltenen Bodenschätzen Albaniens zeigt und auch den wichtigsten Handelshafen bei Durrës kaufen will, - als Teil seines Seidenstraße-Projekts. Da müssten doch bei der EU die Alarmglocken klingeln und der albanische Beitritt nur noch eine reine Formsache sein, glauben der Ministerpräsident und seine engsten Berater!

 

Der ‹dicke› Gesellschaftsroman überrascht mit einem spannenden Plot, der den Leser von Anfang an regelrecht hineinsaugt in das aberwitzige Geschehen, das bei aller Übertreibung doch auch einen Einblick in die realen Usancen eines gigantischen Verwaltungs-Apparates bietet. Robert Menasses sorgfältig durchdachte Geschichte wird rasant in diversen Handlungs-Strängen erzählt, seine Figuren agieren glaubwürdig in den häufig wechselnden Szenen. Sogar eine transnationale Liebesgeschichte fehlt nicht. Die albanische Dame erzählt ihrem deutschen Verehrer, wie sie zu ihrem seltsamen Vornamen gekommen ist: Ihr Vater hat eine zeitlang in Deutschland gearbeitet, in München, und war seither ein glühender Fan des FC Bayern München. «Er wollte, dass ich so heiße wie sein geliebter Fußballclub … Der Standesbeamte schrieb den Namen so, wie er ihn hörte, in mein Geburtsdokument: Baia Muniq.» Es gibt immer wieder Gelegenheit zum Schmunzeln, aber der oft ironisch, teils sogar sarkastisch erzählte Roman vermittelt auch ein sorgsam recherchiertes Bild von den Vorgängen im aufgeblähten Brüsseler Apparat mit all seinen politischen Ränkespielen und nationalen Animositäten. Die Robert Menasse nicht müde wird anzuprangern, nicht nur in seinen Romanen, sondern auch in Essays, Vorträgen und Interviews, - er ist nun mal ein glühender Europäer.

 

«Die Erweiterung» enthält in ihrem eng an die Realität angelehnten und in der Gegenwart angesiedelten, politischen Erzählstoff auch Kriminalistisches oder Historisches. Die Fülle von fremdsprachigen Einschüben, geschichtlichen Anspielungen oder europäischen Verstrickungen erfordert beim Lesen sehr häufig eine Internet-Recherche. Man hört aber schon bald auf zu googeln und liest ohne Verständnis-Probleme einfach über diese Stellen hinweg. Sehr ärgerlich hingegen ist allerdings der chaotische Schluss, bei dem der Autor wohl keine Lust mehr hatte und seine Geschichte einfach sinnfrei, regelrecht klamaukartig ausklingen lässt. Das Lesevergnügen wird jedenfalls brutal abwürgt. Es fehlt diesem Roman also ein der übrigen Textmasse adäquates, gut durchdachtes Finale. Was für ein ärgerliches Manko für einen ansonsten erfreulichen Roman!

 

3* lesenswert - Bories vom Berg - 23. Mai 2024

 

 

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