TONI MORRISON
LIEBE
Liebe, Gier, Hass
- eine Melange
Romane von Toni Morrison stellen meist erhöhte
Anforderungen an den Leser, sie sind ambitioniert, was ihre Thematik
anbelangt, und kompliziert in ihrer Erzählweise. «Liebe», 2003
erschienen, fügt dem aber noch eine weitere Hürde hinzu. Der Plot mit
dem kitschverdächtigen Titel ist derart kryptisch angelegt, dass seine
Lektüre mich an ein komplexes Ratespiel erinnert, dessen Auflösung,
soviel darf verraten werden, erst auf der vorletzten Seite erfolgt, -
wenn denn der Leser bis dahin durchhält. Die Rassenproblematik als
beherrschendes Thema der US-amerikanischen Nobelpreisträgerin schimmert
hier allenfalls im Hintergrund mit durch, man begegnet ihr in einer
ungewohnten Variante erfolgreicher Farbiger, die der kämpferischen
Bürgerrechtsbewegung eher skeptisch gegenüberstehen, sich in Zeiten der
Rassentrennung vielmehr selbstbewusst ihr eigenes, von Diskriminierung
freies Umfeld schaffen.
Es sind fünf Frauen, von denen da im Wesentlichen
erzählt wird, und von dem Mann, der ihr Leben bestimmte, Bill Cosey, ein
reicher Lebemann, der während der Weltwirtschaftskrise erfolgreich ein
Strandhotel aufgebaut hatte. Er ist, wie man nach einer Art Prolog in
sieben ihm gewidmeten Kapiteln erfährt, schon lange tot, im ersten, «Das
Portrait» betitelten Kapitel begegnen wir nur noch seinem Ölbild, und
auch sein Hotel ist inzwischen eine verlassene Ruine an einem
verlotterten Strand. Der von vielen Bewunderte war Freund, Fremder,
Wohltäter, Liebhaber, Ehemann und Vater, wie die folgenden, ihm
gewidmeten Kapitel überschrieben sind, deren Sinn allerdings oft
ironisch konterkariert wird. Er war für jeden ein anderer, einem Phantom
ähnelnd. Die etwa sechzig Jahre, - bis ins letzte Jahrzehnt des 20.
Jahrhunderts hinein -, umspannende Geschichte handelt von den
komplizierten Verwicklungen, die sich allesamt auf diesen
charismatischen Mann zurückführen lassen. Und alle in seinem Bannkreis,
seine Schwiegertochter May, seine Enkelin Christine, deren
Jugendfreundin Heed, die Streunerin Junior als deren Komplizin und die
Köchin «L.», - jene kursiv gesetzte Stimme aus dem Off, bei der am Ende
alle Fäden zusammenlaufen -, sie alle sind schicksalhaft miteinander verwoben,
weit über seinen Tod hinaus.
Toni Morrison hat auf die Frage,
warum die klassische Liebe in ihrem Roman kaum eine Rolle spiele,
geantwortet: «…, ich wollte die Spannbreite der Emotionen ausloten, die
in dem Wort stecken». Es gäbe ja nicht nur die eine Form der Liebe, und
man könne im Idealfall sogar soweit kommen, dass Liebe eine
Großzügigkeit des Geistes sei. Wie auch immer, im Kern geht es hier um
die innige Liebe zweier gleichaltriger, unzertrennlich scheinender
Mädchen, Coseys Enkelin Christine und ihre aus ärmlichsten Verhältnissen
stammende Freundin Heed. Als aber der verwitwete Hotelier die elfjährige
(sic!) Heed heiratet, zerbricht die innige Freundschaft der Beiden und
schlägt in blinden Hass um. Auch zwanzig Jahre nach Coseys Tod wohnen
die zwei Zerstrittenen immer noch in seinem Haus und belauern sich,
der Erbschaft wegen. Denn Cosey hat kein Testament hinterlassen, auch
wenn es Gerüchte gibt, er hätte einst in fröhlicher Runde auf eine
Speisekarte seines Hotels geschrieben, sein Haus solle an sein
«geliebtes Cosey-Kind» gehen. Wen meinte er damit, Frau oder Enkelin?
Und vor allem, wo ist diese ominöse Speisekarte?
Die Autorin erzählt all dies aus wechselnden,
manchmal kaum verifizierbaren Perspektiven, zusätzlich erschwert noch
durch unvermittelte Zeitsprünge, die erhöhte Aufmerksamkeit des Lesers
oder, - oft Ultima Ratio -, seine treffsichere Intuition erfordern. Und
unscharf bleiben auch ihre Figuren, man erfährt selbst von Cosey
herzlich wenig. Ihre Art, einen jede Liebe zerstörenden Erbkrieg zu
schildern, ist hochkomplex und in der sprachlichen Umsetzung
anspruchsvoll. Der Leser muss sich also ziemlich anstrengen, will er in
das Gefühlschaos des Romans eindringen und einen Nutzen aus alldem
ziehen, was er da liest.
2*
mäßig
- Bories vom Berg - 5. November 2017
geschrieben auf dem Nil
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