MARTIN
MOSEBACH
WAS DAVOR
GESCHAH
Moderner
Jahrmarkt der Eitelkeiten
Im breitgefächerten Œuvre des mit dem
Büchnerpreis ausgezeichneten Schriftstellers Martin Mosebach wird
bei den Romanen häufig das Scheitern thematisiert, so auch in «Was
davor geschah». Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung
nannte den Autor 2007 in ihrer Laudatio nicht nur einen «genialen
Formspieler», er verbinde zudem «stilistische
Pracht mit urwüchsiger Erzählfreude». Ein derart
überschwängliches Lob löst in der Fachwelt regelmäßig erbitterte,
vom Neid befeuerte Debatten aus, von «affektierten Vokabeln» und «verzopften
Phrasen aus der bürgerlichen Mottenkiste» konnte man da lesen. Nach
der Lektüre des vorliegenden Romans wird man diesem Verdikt vehement
widersprechen, vielleicht
auch gerade deshalb, weil der Autor gottlob mit seinen intellektuell
hochstehenden Romanen unbeirrt nichts bestsellertauglich Profanes
abliefert!
Es gibt wohl kaum eine explosivere Frage in einer
aufkeimenden Liebesbeziehung als die nach der Zeit davor, nach dem
also, «was davor geschah». Dieser drängenden Frage seiner Liebsten
kommt der namenlose Ich-Erzähler, ein 35jähriger Bankkaufmann, der
vor sechs Monaten nach Frankfurt gezogen ist, gerne nach, seine
Erlebnisse in der Stadt am Main bilden letztendlich den alleinigen
Erzählstoff dieses Gesellschaftsromans. Er lernt gleich zu Beginn
den Sohn der ebenso kultivierten wie wohlhabenden Familie Hopsten
kennen, der ihn zur nächsten der allsonntäglich in ihrer pompösen
Villa stattfindenden Party einlädt. Prompt verliebt er sich
hoffungslos in die schöne Phoebe, die Schwester seines Freundes. Er
lernt zudem einen illustren Kreis von Stammgästen kennen, die
zusammen mit dem prominenten Ehepaar Bernward und Rosemarie Hopsten
das Figuren-Ensemble dieses Romans bilden. Dazu zählen insbesondere
der zuverlässig jede Konversation in Gang haltende Schwadroneur und
hochrangige Ex-Politiker Schmidt-Flex mit Frau sowie dessen dröger
Sohn und seine attraktive, weinselige Frau Silvi. Diesen inneren
Kern der Partygesellschaft ergänzen Helga, Freundin und Beraterin
der Hausherrin in stilistischen und ästhetischen Fragen, sowie der
ebenso zwielichtige wie charismatische Geschäftsmann und
Schürzenjäger Joseph Salam.
Genüsslich erzählend breitet Martin Mosebach das
vielfach verknüpfte Beziehungsgeflecht dieser Figuren in einer
geradezu süffigen Sprache vor dem Leser aus. Von der ersten Seite an
erinnert er damit stilistisch an Thomas Mann oder Lew Tolstoi, nur
dass sein Sittenbild einer bourgeoisen Gesellschaft sich auf einen
deutlich kleineren, überschaubaren Kreis von Figuren stützt – und
mit wesentlich weniger Seiten auskommt! Es gehört zur narrativen
Kunst des Autors, dass er dem Leser seine lebensechten Protagonisten
menschlich derart nahe zu bringen vermag, dass man jeden von ihnen
zu kennen glaubt in seiner realistisch erscheinenden
Charakterzeichnung, - und niemand von ihnen wirkt unsympathisch oder
gar abstoßend. Was den Leser da so sinnlich mitreißt in diesem
Vexierbild einer gehobenen Gesellschaft unserer Tage, das ist vor
allem ein kontemplatives Vergnügen, bei dem scheinbar bedeutungslose
Szenen wie eine nächtliche Schlittenfahrt der ganzen Partytruppe im
Taunus oder die akribische Federputz-Prozedur eines weißen Kakadus
äußerst subtil und anschaulich geschildert werden.
Derart wortmächtig und elegant schreibt niemand
anderes in der gegenwärtigen deutschen Literatur. In seinem - bis
auf die Rahmenhandlung - klug konstruierten Plot entlarvt der Autor
moralisch streng, aber auch unverkennbar ironisch den Aberwitz in
seinem ‹Jahrmarkt der Eitelkeiten› moderner Prägung mit seinen
amourösen Verstrickungen. Der scheherazadeartige Handlungsrahmen
allerdings mit seinen gelegentlich eingestreuten, typografisch
abgesetzten, kurzen und irrealen Dialogen ist wenig überzeugend, und
auch der unbestimmt zwischen personaler und auktorialer Warte
changierende, konturlose Ich-Erzähler ist literarisch ein kleiner
Wermutstropfen in dieser ansonsten makellosen Erzählung.
4*
erfreulich - Bories vom Berg
- 24. August 2020
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