HARUKI MURAKAMI
DIE PILGERJAHRE
DES FARBLOSEN HERRN TAZAKI
Perfektes
Handwerk, keine Kunst
Die Fangemeinde von Haruki Murakami, zu der auch
Teile des Feuilletons gehören, wird nicht müde, den japanischen
Bestsellerautor seit Jahren als den heißesten Favoriten für den
Nobelpreis zu rühmen. Sein Roman «Die Pilgerjahre des farblosen Herrn
Tazaki» wurde gleich am Erscheinungstage in Japan 100.000mal verkauft,
und auch die exzellent übersetzte deutsche Ausgabe war 2014 auf Anhieb
erfolgreich. Ist man in Stockholm derart inkompetent, eine solche
literarische Lichtgestalt nicht zu erkennen, sie also Jahr für Jahr
immer wieder schnöde zu ignorieren? Handelt es sich um «Literatur des
kleinsten gemeinsamen Nenners», wie geschrieben wurde, oder ist Murakami
«ein gegenwärtiger Meister der Weltliteratur», wie man an anderer Stelle
lesen konnte?
Tsukuru Tazaki, ein 36jähriger Ingenieur mit dem
einst ungewöhnlichen Studienschwerpunkt Bahnhöfe, arbeitet in Tokio bei
einer Eisenbahngesellschaft. Er lebt sehr zurückgezogen und leidet
psychisch unter einem schlimmen Schock, den er vor sechzehn Jahren
erlitten hat, als ihn seine fünfköpfige Jugendclique ohne Erklärung
brüsk aus ihrer engen Gemeinschaft ausgestoßen und fortan absolut
ignoriert hat. Die quälende Ungewissheit über die Gründe für seine
Abweisung nahm ihm allen Lebensmut, monatelang trug er sich damals mit
Suizidgedanken. Als er nun Sara kennen lernt und ihr von seinem Trauma
erzählt, überzeugt ihn die zwei Jahre ältere Frau schließlich, sich
endlich den Dämonen der Vergangenheit zu stellen, die Hintergründe für
das Verhalten seiner damaligen Freunde zu klären. Und so macht sich
Tsukuru zu seiner Pilgerreise auf. Er besucht zunächst in seiner
Heimatstadt Nagoya die beiden Männer ihrer damaligen Clique, von denen
er erfährt, was der Grund war für ihre brüske Abkehr. Über die beiden
Mädchen hört er außerdem, dass eine in Finnland lebt und dass die andere
vor sechs Jahren ermordet wurde, der Täter konnte aber nicht ermittelt
werden. Spontan macht er sich auch auf die Reise nach Finnland.
Hier noch mehr zu erzählen wäre unfair, denn der
Roman lebt zu einem nicht geringen Teil von der Spannung, die der Autor
in seinem klug konstruierten Plot aufbaut. Aber was ist denn nun der so
genannte Murakami-Effekt? Zunächst fällt auf, dass auch in diesem Roman
wieder einige autobiografische Bezüge vorliegen, die Musik ist
leitmotivisch eingebaut in die Handlung, als Jazz einerseits, was bei
dem ehemaligen Plattenverkäufer und Jazzbarbesitzer nicht weiter
verwundert. Aber auch, bis in den Titel hineinwirkend, als Klaviermusik
von Liszt, aus dessen Années de pèlerinage, den Pilgerjahren, das Stück
«Le Mal du Pays», das Heimweh also, ein wiederkehrendes Motiv bildet.
Auch der Verlust eines Menschen und die vergebliche Suche ist ein
häufiges Thema bei Murakami, seine Protagonisten sind wie hier im Roman
meist gebildete Männer Mitte Dreißig, denen dann die typischen «Murakami-Mädchen»
gegenübergestellt sind, keine makellosen Schönheiten, die gleichwohl
aber äußerst anziehend wirken. Was den Leser vor Allem aber faszinieren
dürfte ist der seelische Abgrund, an dem sich der Plot entlang hangelt,
die unbarmherzige Abkehr der Clique, die suizidale Phase des farblosen
Helden, der unaufgeklärte Mord, natürlich auch die Fallstricke der
Liebe. Und - last but not least - ist es die jugendliche Zuversicht,
dass eben nicht alles «im Fluss der Zeit» verschwindet.
All diese literarischen Zutaten sind hier gekonnt in
eine angenehm lesbare Prosa umgesetzt, mit glaubwürdigen Figuren als
Akteuren und einem stimmigen Ambiente als Bühne. Weniger überzeugend
sind die philosophischen Ergüsse, mit denen der Autor die Welt zu
erklären sucht. Und auch die reichlich eingebaute Symbolik, die bei den
Farben ihren Höhepunkt erreicht, worauf ja schon der Buchtitel hinweist,
wirkt übertrieben, geradezu gekünstelt - und irgendwie auch anbiedernd.
Mir aber schwant, dass für einen Nobelpreis denn doch der dichterische
Genius fehlt. Perfektes Handwerk, keine Kunst!
3*
lesenswert
- Bories vom Berg - 2. Februar 2018
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