FUMINORI NAKAMURA
DER DIEB
Ästhetik des Taschendiebstahls
Im Jahre 2015 erschien als erster der mehr als ein Dutzend
bisher veröffentlichten Bände des unter Pseudonym schreibenden japanischen
Schriftstellers Fuminori Nakamura sein Roman «Der Dieb» auch in deutscher
Sprache. Vorbild für den Titelhelden war, wie er in einem Interview erklärte,
Nezumi Kozō, ein 1832 hingerichteter Dieb, der in Japan oft mit Robin Hood
verglichen wird. Anders als sein Pendant in der englischen Ballade hatte der
allerdings seine Beute nicht unter die Armen verteilt, sondern selbst verprasst.
Unser Romanheld wiederum ist Taschendieb, er bestiehlt nur Männer und ist
ausschließlich auf deren Geld aus, die leer geräumten Brieftaschen wirft er in
den nächsten Postkasten, sodass der Bestohlene sie mit dem übrigen Inhalt von
der Polizei zurückbekommen kann.
Wir erleben den Ich-Erzähler, dessen richtiger Name Nishimura
nur ein einziges Mal ganz nebenbei erwähnt wird, bei der Ausübung seiner Kunst,
er streift ruhelos durch Tokio, sucht gezielt die für sein Metier geeigneten
Orte auf, überfüllte U-Bahnen oder belebte Geschäftsstraßen, Einkaufszentren. Er
beherrscht alle Tricks seines nicht ehrbaren Handwerks, agiert auf dem Höhepunkt
seines Könnens instinktiv sicher und mit fließenden, geschmeidigen Bewegungen,
behält seine Umgebung dabei stets genauestens im Auge, immer auf der Lauer nach
dem richtigen Moment für seinen Zugriff. Nakamura hat all diese handwerklichen
Details akribisch recherchiert, sich, um Genauigkeit bemüht, sogar selbst als
Taschendieb geübt, wie er im Interview erklärt hat, mit einem Freund als
Testopfer. Der Romanheld ist Taschendieb seit frühester Jugend, und so ist er
ziemlich irritiert, als er im Supermarkt einen kleinen Jungen beim
Ladendiebstahl beobachtet, in dem er sich selbst erkennt und den er spontan vor
dem Ladendetektiv schützt. Der Junge sucht nun ständig seine Nähe, will von ihm
lernen. Schon bald aber holt Nishimura seine dunkle Vergangenheit ein als
ehemaliges Mitglied der japanischen Mafia, Kizaki, ein Boss der Yakuza zwingt
ihn, drei Aufträge für ihn zu erledigen, bei einem brutalen Überfall
mitzuwirken, ein geradezu faustischer Pakt.
Nakamura erzählt seine verstörende Geschichte von den
Randfiguren der japanischen Gesellschaft scheinbar teilnahmslos in einer knappen
Sprache ohne jede Raffinesse, wobei er den Dieb als einsame, tragische Figur
darstellt, der in geradezu missionarischer Absicht stielt. Kizaki stellt er
hingegen als blumig sprechend und nachdenklich dar, quasi als Alltagsphilosoph,
um so die Brutalität des Geschehens zu konterkarieren und Spannung zu erzeugen.
Seine literarischen Vorbilder, hat er erklärt, wären Kafka, Camus und
Dostojewski, und prompt wird Raskolnikow bemüht beim Briefing mit Kizaki. Der
Roman ermöglicht dem Leser einen illusionslosen Blick in die Welt des Bösen, das
Gute kommt im Roman nicht vor. Nakamura erzeugt seine unheilvolle Atmosphäre
einerseits durch den menschenfeindlichen Moloch der Metropole Tokio,
andererseits durch den Schauplatz einer mafiosen Unterwelt, ohne gleich ins
Spektakel blutrünstiger Thriller abzugleiten. Eher kann man den Roman als
Gesellschaftskritik auffassen oder als psychologischen Exkurs in moralische
Grenzbereiche.
Kann Taschendiebstahl eine Ästhetik haben, kunstvoll sein?
Man ist verunsichert, nicht zuletzt durch den Robin-Hood-Bonus, der in diesem «roman
noir» auch mitschwingt. Leitmotivisch blendet der Autor immer wieder einen nur
schemenhaft erkennbaren Turm in die Erzählung ein, den man als Symbol einer
übergeordneten Macht, ja als Metapher für Gott deuten kann. Das düstere
Geschehen ist deterministisch, ganz am Ende, beim blutigern Showdown, enthüllt
Kizaki, dass alles, was passiert ist, genau so von ihm vornher bestimmt war. In
seiner minimalistischen Sprache nicht überzeugend, vom Plot eher simpel und
klischeehaft aufgebaut, bietet dieses Buch literarisch, abgesehen vom
schelmenromanhaften Beginn, aus meiner Warte wenig Anreiz zur Lektüre.
2*
mäßig - Bories vom Berg - 21. März 2017
® Schriftliche Danksagung eines Lesers
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