JENNY
OFFILL
WETTER
Ebenso
scharfsinnig wie amüsant
Der neue Roman der im eigenen Land hoch gelobten
amerikanischen Schriftstellerin Jenny Offill an dem sie sieben Jahre
lang geschrieben hat, deutet mit seinem Titel «Wetter» schon seine
Thematik an. Denn Wetter ist die gegenwärtige Form des langfristigen
Phänomens Klima, ein Reizthema also, hinter dem ein
Schreckens-Szenario lauert. Analog dazu behandelt die Autorin in
ihrem Buch die nicht weniger bedrohliche soziale Wetterlage
in den USA. Und so ist denn dieser Roman eine breit angelegte
Gegenwarts-Analyse der amerikanischen Gesellschaft unter Trump, mit
all ihren Psychosen und apokalyptischen Ängsten, die Phänomene wie
die Prepper-Bewegung erzeugen oder den vielen obskuren Sekten immer
neue Mitglieder zutreiben.
Als Ich-Erzählerin lässt sich die
Studium-Abbrecherin und als Universitäts-Bibliothekarin arbeitende
Lizzie von ihrer langjährigen Mentorin engagieren, die tägliche Flut
von Fanpost zum erfolgreichen Podcast der prominenten
Umweltaktivistin zu bearbeiten und sie als Assistentin zu Vorträgen
zu begleiten. Unter dem Titel «Hölle und Hochwasser» werden von ihr
Themen wie der offensichtlich unabwendbare Klimawandel, die ständig
wachsende soziale Schieflage, die zunehmend bedrohlicher empfundene
Überfremdung, aber auch der ganz alltägliche Wahnsinn behandelt.
Neben diesem aufreibenden Job wird Lizzie in der Bibliothek gemobbt
und muss sich mit den wunderlichsten Besuchern herumschlagen. Sie
ist aber auch als Mutter eines aufmüpfigen Sohnes, als
vernachlässigte Ehefrau eines erfolglosen, promovierten Philosophen
und als besorgte Schwester eines ehemaligen Junkies voll gefordert.
Als ihr Mann mit dem Sohn zu einem dreiwöchigen Urlaub nach
Kalifornien fährt, lernt Lizzie einen Kriegsreporter kennen, von dem
sie sich in ihren diffusen Ängsten erhofft, er könne ihr helfen,
sich auf den ‹Ernstfall› vorzubereiten. «Er
sagt, es fühle sich so an wie kurz bevor es losgeht», bemerkt die
von der apokalyptischen Stimmung infizierte Frau dazu. «Das ist
abartig, aber man lernt, darauf zu reagieren», ergänzt sie. Äußerst
sensibel reagiert sie auf ihre Umgebung, registriert verborgene
Signale, versucht sogar, mit ihrem Hund telepathische Verbindung
aufzunehmen. Ihr eher burschikoses Auftreten verdeckt ihre innere
Zerrissenheit, kaschiert ihre ständige Angst vor dem, was da kommen
mag.
Dabei benutzt Jenny Offill verschiedenste Formen,
von prägnant formulierten, analytisch klugen Kurztexten aus
Erinnerungen, Aktuellem und Beobachtungen über typografisch als
Kasten abgesetzte Frage/Antwort-Einblendungen bis hin zu profanen
Witzen. Durch diese Kürze wolle sie Schweres und Leichtes
gleichwertig neben einander stellen, hat die New Yorker Autorin dazu
angemerkt. Sie verwendet stimmige Metaphern, beispielsweise wenn sie
das zeitlich limitierte Leben als zunehmend auswegloser beschreibt,
«so wie der Fluss auf die Niagarafälle zuschießt». An anderer Stelle
zitiert sie die Bedenken eines Psychologen bei der Einführung der
Elektrizität dahingehend, «junge Leute könnten ihr Verhältnis zur
Abenddämmerung und deren kontemplativen Eigenschaften verlieren».
Die paranoiden Gegenwarts-Konflikte ihrer polarisierten Nation
bringt sie zum Ausdruck, wenn sie über den nationalen Waffenwahn
schreibt: «Man kommt nicht mal in die Nachrichten, wenn man weniger
als drei Leute erschießt».
Betont lässig erzählt, unverkennbar
lakonisch, zudem schonungslos offen, aber auch warmherzig und oft
witzig wird hier ein kollektives nationales Unterbewusstsein
scharfsinnig entlarvt. Der stilistische Mix aus Bitter-Ernstem und
Locker-Amüsantem lässt diese Analyse US-amerikanischer
Befindlichkeit ziemlich uneindeutig erscheinen. Es ist jedoch die
absolute Gegenwärtigkeit dieses Romans, die ihn gleichwohl so
authentisch erscheinen lässt. Die sogar einiges an
Identifikations-Potential für den Leser bietet, der hier durch die
permanente Aneinanderreihung von unterschiedlichsten Denkmustern zu
eigenem Weiterdenken angeregt wird.
4* erfreulich -
Bories vom Berg - 5. Juli 2021
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