HANS PLESCHINSKI
AM GÖTTERBAUM
Blitzlicht
auf einen vergessenen Poeten
In seinem neuesten Roman «Am Götterbaum» widmet
sich Hans Pleschinski zum dritten Mal einem deutschen
Nobelpreisträger für Literatur. Nach Thomas Mann in «Königsallee»
und Gerhart Hauptmann in «Wiesenstein» wird hier Paul Heyse in den
Blick genommen. Der literarisch der Postmoderne zugerechnete Autor
erzählt mit Lust am Fabulieren von der Initiative dreier engagierter Damen,
die verwahrloste Villa des heute völlig vergessenen, einstigen
‹Großschriftstellers› aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken und in
ein modernes Literatur-Zentrum umzuwandeln.
München brauche so etwas, um kulturell zu Berlin
aufschließen zu können, da ist sich die toughe Stadtbaurätin völlig
sicher. Auch den Kämmerer hat sie von ihrer Idee überzeugen können.
Als sachkundige Mitstreiterinnen hat sie eine Schriftstellerin und
eine Bibliothekarin gewonnen, mit denen sie sich 2019 an einem
Frühlingsabend vor dem Rathaus trifft, um von dort aus zu einer
ersten Ortsbegehung aufzubrechen. Da sie früh dran sind, beschließen
die Damen, gemütlich zu Fuß zur Luisenstraße 22 im Kunstareal
Münchens zu laufen. Auf dem Weg dorthin unterhalten sie sich sehr
angeregt über Paul Heyse und das geplante Kulturprojekt, debattieren
kontrovers über dessen Sinn und Machbarkeit. Pleschinski nutzt die
Szenerie am Rande auch zu allerlei kritischen Betrachtungen des
täglichen Wahnsinns. So wenn beispielsweise zwei smartphone-süchtige
junge Männer mit ihrer Daddel vor der Nase auf dem Bürgersteig
kollidieren und eines dieser elektronischen Kulturtöter auf
Nimmerwiedersehen in den Gully gleitet. Oder die Damen erleben den
Streit einer Tauben fütternden Alten mit einem erbosten Herrn, der
von Flugratten spricht und die Polizei herbeirufen will, weil das
Füttern aus guten Gründen ja verboten sei.
Die sich an einem einzigen Abend abspielende
Geschichte dieses literarischen Spaziergangs durch München wird nur
einmal kurz durch einen Rückblick auf einen Besuch von Adolf von
Kröner am Gardasee unterbrochen. Der Besucher des Ehepaars Heyse
zählte damals zu den führenden Verlegern in Deutschland, ihm
verdankt der Buchhandel die seit 1888 geltende, kulturell begründete
Preisbindung für Bücher. Ansonsten ist dieser Roman, neben seinen
beiläufigen Alltags-Beobachtungen, überreich gespickt mit Zitaten
von Heyse. Gedichte zumeist, die erkennen lassen, warum dieser
Literat heute zu Recht vergessen ist. Ihm fehlt, was Pleschinski im
Roman als Ingenium bezeichnet, seine literarischen Hervorbringungen
sind allenfalls mittelmäßig, was auch für seine 180 Novellen, 68
Dramen und acht Romane gilt, soweit man das durch die eingefügten
Zitate beurteilen kann.
Oft am Rande der Kolportage entlang schliddernd
mit seinem banalen Münchner Alltags-Kolorit, enttäuscht dieser Roman
durch das kulturbeflissene Dauer-Geschwafel des Damentrios, von dem
man als Leser oft nicht weiß, wer denn da überhaupt spricht. Ihnen
gesellt sich zu allem Überfluss auch noch ein als Heyse-Spezialist
ausgewiesener Professor aus Erlangen hinzu, samt jungem,
chinesischem Ehemann (sic!). Sehr zum Verdruss des geplagten Lesers
trägt nun dieser Heyse-Experte immer weitere Zitate vor. Völlig
absurd aber wird das Ganze, wenn zuletzt nach mehreren Pannen
überraschend doch noch eine Begehung der vermieteten Villa möglich
wird. Die zunächst abweisenden Mieter outen sich plötzlich als
Heyse-Fans und tragen spontan im Treppenhaus der Villa ein Stück des
verehrten Meisters vor. Spätestens an diesem Punkt stellt sich dann
die Frage, ob diese Hommage womöglich als Satire gedacht ist. Es
gibt allerdings keine Hinweise, die solche Deutung untermauern
könnten, es fehlt jedwede Komik. Im Interview hat der Autor erklärt,
er hoffe, «dass der Roman für Leser in diesen Zeiten eine Art
Antidepressivum sein kann». Das mag für einige zutreffen, und
außerdem hat er einen vergessenen Poeten blitzlichtartig ins
Leser-Bewusstsein zurückgerufen, auch darin liegt ein gewisser
Verdienst, aber das ist dann auch schon alles!
2*
mäßig - Bories vom Berg
- 10. Mai 2021
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