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ROBERT PROSSER

 

PHANTOME

 

Titos Erben

 

Mit den ethnisch-religiösen Säuberungen im Verlauf des unsäglichen Jugoslawienkriegs hat sich der österreichische Schriftsteller Robert Prosser an ein Thema gewagt, das literarisch bisher kaum beachtet wurde. «Phantome» lautet der kryptische Titel seines Romans. Es sind jedoch keine Trugbilder, die da thematisiert werden, sondern die inzwischen fast vergessenen Gräuel eines so in Europa nicht mehr für möglich gehaltenen Gemetzels unter den Balkanvölkern. Die dadurch ausgelöste Flüchtlingswelle findet in der aktuellen Flüchtlingsproblematik ihr Pendant, dieser Roman passt mit seiner Thematik als Mahnzeichen also bestens in unsere Gegenwart. Wird er seinem Thema auch narrativ gerecht, ist nach der Longlist-Platzierung 2017 die Frage.

 

Der dreiteilig aufgebaute Roman erzählt im ersten Teil von einem namenlos bleibenden, jungen Wiener Graffitisprayer, der 2015 bei seinen gewagten nächtlichen Streifzügen durch die U-Bahnschächte den Kick sucht, den begehrten Adrenalinstoß. «Das Wabern im Hirn bewirkt einen zusätzlichen Kick, wenn man einen Wholetrain und pro Waggon einen Buchstaben malt, und zugleich beklagen sie sich über nachlassendes Gedächtnis und löchrigen Wortschatz. Man pumpt Nächte mit Energie voll, damit sie wie eine Piñata zerplatzen, derweil weichen die Farben das Denken auf. Warum tut man sich das an?» Der in nervigem Szene-Jargon erzählte Selbstfindungstrip des unbedarften Ich-Erzählers kontrastieren mit den beklemmenden Eindrücken, die er dann bei einem Besuch mit seiner Freundin Sara in Bosnien-Herzegowina hat, als sie dort nach Spuren ihrer Mutter Anisa suchen und dabei mit dem Schicksal der vielen Kriegsflüchtlinge konfrontiert werden.

 

Der Hauptteil handelt in zwei ständig wechselnden Erzählsträngen von den Erlebnissen Anisas und ihres Freundes Jovan im Jahre 1992. Deren Liebesgeschichte ist durch die grausamen kriegerischen Ereignisse und dem verheerende Kollateralschaden in ihrer Folge von kurzer Dauer und endet mit der Flucht Anisas nach Wien. Prosser schildert die bis heute nicht wirklich aufgearbeiteten Verbrechen während dieser de facto gesetzlosen Zeit mit scharfem Blick in einer präzise beschreibenden, glasklaren Sprache. Bei all den Gräueln stockt dem Leser häufig der Atem, unsäglich ist das Leiden der zwischen den verschiedenen Fronten stehenden, schutzlosen Zivilisten. Eine derartige Barbarei mitten in Europa kann man sich heute fast gar nicht mehr vorstellen, - sie liegt aber doch erst eine Generation zurück, gerade mal 25 Jahre! Während die bosnische Kroatin Anisa in einem Flüchtlingslager in Wien lebt, muss Jovan als bosnischer Serbe gegen seine Willen auf der anderen Seite kämpfen. Im letzten Teil berichtet Jovan als Ich-Erzähler im Jahre 2015 aus dem Gefängnis in Wien, wobei er immer wieder in Rückblicken auf seine Kriegserlebnisse in Bosnien zurückkommt. Eine unheilvolle Melange aus Angst, Verrat, Denunziation und religiöser Verblendung führte dazu, dass aus bisher guten Freunden und Nachbarn plötzlich erbitterte Feinde wurden. Ja, der Wahnsinn ging so weit, dass im Ausland arbeitende bosnische Flüchtlinge am Wochenende in die Kriegsgebiete fuhren, um dort auf ihrer jeweiligen Seite mitzukämpfen und dann am Montag wieder pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen, - möglicherweise friedlich vereint neben einem Kollegen, der auf der Gegenseite gekämpft hat.

 

Der Autor hat in dem völlig überflüssigen ersten Teil eigene Erfahrungen als Sprayer eingebracht, die nicht relevant sind für den reportageartigen Plot, und es scheint so, als wollte er auch haarklein all das im Text unterbringen, was er in Bosnien drei Jahre lang recherchiert hat. Der schwer zu lesende, sprunghaft erzählte Roman hat mich nicht überzeugt, die vielen Figuren rufen keinerlei Empathie hervor, der Hauptteil beginnt schon bald zu nerven mit seiner überbordenden Detailfülle, und als Leser bleibt man allein mit all den Gräueln, Prosser enthält sich jedweden Kommentars darüber, was Titos Erben angerichtet haben.

 

2* mäßig - Bories vom Berg - 27. August 2018

 

 

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