ZAZIE IN DER METRO
Mit der gerade erschienenen Neuübersetzung von Frank Heibert wird der satirische Roman «Zazie in der Metro» von Raymond Queneau aus dem Jahre 1959 in Deutschland soeben wiederentdeckt. Sein Welterfolg beruht im Wesentlichen auf der unkonventionellen Sprache, die hier zum puren Selbstzweck erhoben ist, Handlung und Figuren dienen narrativ als bloßes Beiwerk. Mit der dreizehnjährigen Zazie hat der Autor ein, allerdings nur vom Bekanntheitsgrad her, vergleichbares französisches Pendant zu «Lolita» oder «Pippi Langstrumpf» geschaffen. Ein sehr spezieller Typus selbstbewusster Mädchen also, die gewitzt und rotzfrech die Welt der Erwachsenen gehörig aufmischen. Kein Wunder, das Louis Malle diesen Stoff schon ein Jahr später ebenso erfolgreich verfilmt hat, inzwischen ist Zazie unverkennbar zu einer Figur der französischen Folklore geworden.
Die altkluge Titelheldin wird von Ihrer Mutter, die in Paris ihren Liebhaber treffen will, über das Wochenende bei Onkel Gabriel untergebracht. Ihren brennenden Wunsch, einmal mit der Metro zu fahren, die sie als Kind vom Lande nur vom Hörensagen her kennt, kann er ihr aber nicht erfüllen, denn wie es der Zufall will, die Metro wird gerade bestreikt. Schon am nächsten Morgen büxt Zazie aus, gerät, allein durch die Stadt stromernd, in allerlei Kalamitäten, aus denen sie sich aber gewitzt und frech immer wieder befreien kann. So gerät sie an einen Lustmolch, der ihr «Caco Calo» spendiert und eine «Bludschiens» kauft. Dem erzählt sie ihre traurige Geschichte: Ihr Vater hätte ihr immer wieder nachgestellt, ihre Mutter habe ihm deshalb mit dem Beil den Kopf gespalten, sie musste als Zeugin beim Prozess ausgesagt. Ähnlich haarsträubend sind alle Szenen des Romans, der hünenhafte, bärenstarke Onkel ist nicht wie behauptet Nachtwächter, sondern Star einer Travestieshow. Weitere Figuren sind seine sanfte Frau Marceline, die durchaus auch ein Marcel sein könnte, der Autor lässt uns Leser da im Ungewissen. Skurril auch der Kneipenwirt Turandot, dessen sprechender Papagei überall dabei ist und mit seinem «Du quasselst, du quasselst, das ist alles was du kannst» häufig in die Gespräche eingreift. Bei einem Besuch des Eifelturms treffen Zazie und ihr Onkel auf eine Reisegruppe, die von Gabriels Erklärungen so begeistert ist, dass sie ihn als neuen Reiseleiter kurzerhand entführt, verfolgt von Zazie und einigen anderen der skurrilen Romanfiguren. Sie alle landen nächtens in der Schwulenbar, wo der Onkel im Tutu den sterbenden Schwan tanzt. Nach Abreise der Touristen und einer Massenschlägerei lassen sie dann alle am Place Pigalle bei Zwiebelsuppe den turbulenten Tag ausklingen.
In der vom französischen Verlag überarbeiteten Pléiade-Ausgabe von 1989, die der Neuübersetzung zugrunde liegt, kommt Zazie doch noch zu ihrer Metrofahrt, die sie allerdings verschläft. Im Nachwort erläutert der Übersetzer sein Konzept, den vor Sprachwitz strotzenden, mit unzähligen Zitaten, Verweisen und Mehrdeutigkeiten gespickten Roman in ein adäquates Deutsch zu übertragen. Als besonders schwierig stellten sich dabei die als «ortograf fonétik» lautmalerisch der Umgangssprache nachempfundenen Wendungen heraus.
Stilistisch negiert dieser surrealistische Roman ohne nachvollziehbaren Plot systematisch alle Konventionen. Sämtliche Figuren sind grotesk widersprüchlich angelegt, ihre Gestik wird nur lapidar durch in Klammer gesetzte Begriffe ausgedrückt (lacht). Raymond Queneau wechselt den Sprachstil variantenreich von gepflegter Hochsprache bis zum Argot und schafft damit zusätzliche Kontraste. Dieser Roman ist ein großangelegtes Experiment mit der Sprache, er erscheint wie die Parodie eines Romans und leidet erkennbar an den bei der Übersetzung unvermeidbaren Verlusten an Sprachwitz. «Ich bin älter geworden» antwortet Zazie, das quasselnde, pubertäre Ungeheuer, am Ende auf die Frage der Mutter, was sie denn erlebt habe, - und mehr ist ja auch tatsächlich nicht passiert!
3* lesenswert - Bories vom Berg - 1. Januar 2019
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