ANTOINE DE SAINT-EXUPÉRY
NACHTFLUG
Der Mensch im Machbarkeitswahn
Der Ruhm von Antoine de Saint-Exupéry stützt sich auf die
weltberühmte Erzählung «Der kleine Prinz» aus seinem Spätwerk, in der eine
Notlandung in der Wüste den äußeren Rahmen bildet. Seine langjährigen
Erfahrungen als Berufspilot hat der französische Autor, der selbst mehrere
Bruchlandungen überlebt hat, in einigen seiner Werke verarbeitet, so auch in dem
Roman «Nachtflug», mit dem ihm 1930 der literarische Durchbruch gelang. Um
Saint-Exupérys Tod bei einem Aufklärungsflug 1944 in der Nähe von Marseille
rankten sich viele Mythen, die nach dem Zufallsfund eines Armbands von ihm durch
einen Fischer sowie die spätere Bergung seiner ins Mittelmeer gestürzten
Lockheed F-5 aber weitgehend aufgeklärt werden konnten.
«Die Höhenzüge, tief unter dem Flugzeug, gruben schon ihre
Schattenfurchen ins Gold des Abends» lautet der erste Satz. Der Pilot Fabien und
sein Bordfunker sind an diesem Abend im Postflugzeug von Patagonien nach Buenos
Aires unterwegs. Außer ihnen sind zwei weitere Kurierflieger von Chile und
Paraguay auf dem Weg dorthin, nach Mitternacht übernimmt der Europakurier dort
die Fracht der drei Maschinen. Im Wettbewerb mit Eisenbahn und Schifffahrt hat
Direktor Rivière gegen manchen politischen Widerstand diesen Kurierdienst
eingerichtet, der wegen seiner hohen Risiken allerdings heftig umstritten ist.
Als Leiter der Luftpost regiert er mit harter Hand, beschwört den Pioniergeist
seiner Piloten herauf, verlangt eiserne Disziplin und akzeptiert keinerlei
Angst. «Diese Menschen […] sind glücklich, weil sie ihren Beruf lieben, und sie
lieben ihn, weil ich hart bin», glaubt er. Nach einer Zwischenlandung gerät
Fabien in ein heftiges Unwetter, das schnell den ganzen Kontinent erfasst hat,
ein Umfliegen der Wetterfront ist unmöglich. Er fliegt in völliger Dunkelheit,
ohne Sicht und ohne jede Chance auf eine Notlandung, zudem wird bald auch sein
Treibstoff zu Ende gehen. Die Verständigung mit dem Bordfunker erfolgt über
handgeschriebene Zettel, die sie sich jeweils zureichen, schließlich bricht auch
die Funkverbindung mit den Bodenstationen ab. Als Fabien die Maschine aus den
heftigen Turbulenzen nach oben zieht und die Wolkendecke durchstößt, sieht er
bei ruhigem Wetter plötzlich den Sternenhimmel über sich, alle Beide geraten in
eine trügerische Euphorie.
Die Geschichte ist zweisträngig erzählt, parallel zum
dramatischen Fluggeschehen werden die hektischen Aktivitäten der Flugleitung
geschildert. Direktor Rivière verfolgt ungeduldig den Funkverkehr mit der in Not
geratenen Maschine, spricht mit der Frau von Fabien, die verzweifelt auf
Nachricht von ihrem Mann wartet. Innerlich aber hadert er mit sich, weil er
seine Piloten zu solch riskanten Flügen ermutigt hat, stellt sogar den ganzen
Luftpost-Dienst in Frage als zu riskant, technisch trotz aller Sorgfalt nicht
wirklich beherrschbar. Gleichwohl lässt er schließlich doch den Europakurier
ohne die Post aus Patagonien pünktlich starten, er hört die Maschine über den
Platz brummen wie immer, der Flugbetrieb geht weiter.
Man hat Saint-Exupéry vorgeworfen, mit «Nachtflug» ein
Hohelied des Idealismus, der Pflichterfüllung und Kameradschaft unter Männern
angestimmt zu haben, ein Heldenepos der vergleichsweise primitiven Fliegerei
jener Tage, - die Kommunikation per Zettel zwischen Pilot und Funker kündet
überdeutlich davon. Was zählt bei solch heroischem Machbarkeitswahn ein
Menschenleben? Welchen Preis darf der Fortschritt haben? Heiligt der Zweck die
Mittel? Den Autor, der sein Buch als eine «Erforschung der Nacht» gedeutet hat,
stürzte die herbe Kritik daran in eine tiefe Schaffenskrise, erst acht Jahre
später erschien wieder ein Roman von ihm. «Nachtflug» ist ein geradezu
meditativer Roman, geschrieben in einer ungemein suggestiven Sprache, knapp und
ohne jedes Pathos bewirkt sie beim Leser das beklemmende Gefühl, Zeuge einer
unabwendbaren Tragödie zu sein, selbst ganz hautnah die Unerbittlichkeit des
Schicksals zu spüren.
4*
erfreulich - Bories vom Berg - 30. April 2017
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