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ARNO SCHMIDT

 

BRAND'S HAIDE

 

Wer hat Angst vor Arno Schmidt

 

Der 1951 erschienene Kurzroman «Brand's Haide» könnte, neben allerlei literarischen Besonderheiten, über die hier gleich zu berichten sein wird, dem saturierten Leser einer der reichsten Nationen dieser Welt ein Schlüsselerlebnis bescheren. Die Handlung ist zeitlich nämlich im Deutschland unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg angesiedelt, wo Autor und Ich-Erzähler Arno Schmidt 1946, nach der Entlassung aus englischer Kriegsgefangenschaft, in das fiktive niedersächsische Dorf Blakenhof eingewiesen wird. Die authentischen Schilderungen der damaligen Not, der äußerst bedrückenden Lebensumstände dürften selbst für ältere Leser schockierend sein. Insoweit ist der Roman geeignet, uns Heutige aus dem vermeintlichen Himmel des fast unbegrenzten Konsums wenigstens lesend mal wieder auf den Erdboden zurückzuholen.

 

Als Unterkunft wird dem Kriegsheimkehrer eine von ihm als «Loch» bezeichnete Rumpelkammer bei der Dorflehrerin zugewiesen. Zwei Flüchtlingsfrauen bewohnen ein benachbartes Zimmer, sie stammen wie er selbst ebenfalls aus Schlesien, was die drei von den Einheimischen scheel betrachteten Fremden natürlich zusammenschweißt. Man hilft sich gegenseitig im Kampf mit dem drückenden Mangel an allem, was man ganz elementar zum Leben braucht. Und so gehen sie gemeinsam Holz stehlen oder Äpfel, sammeln trotz Verbot heimlich Pilze und anderes mehr. Mit Lore, einer der beiden 32-jährigen Frauen, entwickelt sich bald ein Liebesverhältnis, dem aber kein Happyend beschieden ist, denn sie nimmt das Angebot eines Vetters an, der materiellen Not zu entfliehen und zu ihm nach Mexico zu kommen. Schmidt bringt sie zum Bahnhof und bleibt allein zurück.

 

Dieser äußere Handlungsrahmen wird ergänzt durch diverse, breit angelegte Einschübe. Der Schriftsteller arbeitet an einer Biografie von Fouqué, ein von ihm als «ewiges Lämpchen» bezeichnetes, mit Hingabe betriebenes, langfristiges Buchprojekt. Friedrich Baron de la Motte Fouqué ist bekannt als romantischer Autor der bei E.T.A. Hoffmann und Lortzing als Opernlibretto dienenden Märchennovelle «Undine». Die Frauen helfen ihm bereitwillig bei der Suche nach Lebensdaten von Vorfahren Fouqués in den örtlichen Kirchenbüchern. Einige Male trifft er auf einen geheimnisvollen «Alten» aus dem Wald von Brand's Haide, der ihn mit seinen Kenntnissen über Fouqué verblüfft. Mit dem Sohn der Lehrerin, bei der er einquartiert ist, führt er kontroverse politische Diskussionen, in denen er sich als argumentativ deutlich überlegen erweist. Als «Ungläubiger» verwickelt er den Dorfpfarrer in interessante, für einen Kirchenmann jedoch ziemlich unerquickliche Dispute. An dunklen Winterabenden liest er den Frauen einige, im Roman komplett abgedruckte, längere Passagen von Fouqué vor, der Roman stellt mit seiner ständigen Durchdringung Fouqué/Schmidt quasi ein Abfallprodukt der Fouqué-Arbeit dar.

 

Arno Schmidt wird von einer Schar Getreuer geradezu kultisch verehrt. Den Normalleser jedoch stellt sein Werk vor ziemliche Probleme, so auch «Brand's Haide». Denn abgesehen von seiner rigoros unkonventionellen Orthografie und Syntax besteht seine eigenständige, kaum einer bestimmten literarischen Richtung zuzuordnende Sprache aus einer collageartige Reihung von etwa dreihundertfünfzig Textabschnitten, von ihm «Fotos» genannt, die häufig in Form des Bewusstseinsstroms geschrieben sind. Es wimmelt dabei nur so von Anspielungen, Zitaten, kryptischen Hinweisen und Anmerkungen, all das üppig angereichert durch eigenwillige Wortschöpfungen, fremdsprachliche Einsprengsel sowie Begriffe aus Umgangssprache und Dialekten verschiedenster Herkunft, somit also geeignet, beim Leser die unterschiedlichsten Assoziationen hervorzurufen. Literarisch hochstehend zweifellos, ist dieser Roman mutmaßlich eine für aufnahmefähige Leser ebenso willkommene wie letztendlich auch bereichernde Herausforderung.

 

4* erfreulich - Bories vom Berg - 29. Juni 2014

 

 

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