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PETER SCHNEIDER

 

PAARUNGEN

 

Kleinfamilie feiert fröhliche Urständ

 

Nach einer beeindruckenden Karriere, vor allem als intelligenter Essayist, hat Peter Schneider mit «Paarungen» 1992 seinen ersten Roman veröffentlicht, den man als ein rückhaltloses Eingeständnis des Scheiterns der 68er-Revolte interpretieren muss, denn der Autor war ein radikalisierter, maoistischer Wortführer der Berliner Studentenbewegung jener Zeit. Dieser Roman schließt sich einem vorher schon thematisierten Abgesang an, der zu einem Kultbuch der frustrierten Linken avancierten Erzählung «Lenz» von 1973, in der er die Enttäuschungen seiner Mitstreiter nach dem Scheitern ihrer Protestbewegung schildert. Im vorliegenden Roman nun beschreibt Schneider seine Mitstreiter 19 Jahre später als inzwischen saturierte Schwätzer, Wichtigtuer und Angeber, aus den hehren Utopien von einst seien «heimliche Dienstfahrten zu zweit» geworden. Die prominentesten und erfolgreichsten der damaligen Revoluzzer wurden, ihrer Vorliebe für italienische Landhäuser wegen, später unter dem Begriff «Toskana-Fraktion» bekannt. Hier im Roman geht es, wie der doppeldeutige Titel «Paarungen» schon anzeigt, um die sexuelle Konnotation einerseits und um die Zweisamkeit andererseits. Die freie Liebe war ein essentieller Bestandteil der 68er-Bewegung, und sie ist ebenso grandios gescheitert wie die politische Revolution.

 

Der Roman ist im geteilten Berlin angesiedelt, sein Protagonist ist Eduard, ein mit Forschungen zu Multipler Sklerose befasster, erfolgreicher Molekularbiologe mittleren Alters, der mit seiner Freundin Klara aus dem Nachbarhaus seit Jahren eine scheinbar stabile, eheähnliche Beziehung unterhält, - in nach wie vor getrennten Wohnungen allerdings. In seiner Szenekneipe trifft er sich regelmäßig mit Theo, einem in Ost-Berlin wohnenden, ziemlich privilegierten Schriftsteller mit «Doppelpass», der ihm dauerhaft die Ausreise in den Westen der Stadt ermöglicht, wo seine Freundin Pauline wohnt. Dritter im Bunde ist der Komponist André, ein Don-Juan-Typ, dem die Frauen zufliegen und der sich aus seinem Gefühlschaos in eine Ehe stürzt, die schon bei der turbulenten Hochzeitsfeier scheitert. Dieses Dreigestirn, in dem unschwer der Autor in persona zu erkennen ist als Stichwortgeber, tauscht sich bei ihren Treffen immer wieder auch über ihre problematischen Paarbeziehungen aus. Paarbildung und Trennung erfolgen nach dem 68er-Umbruch in schnellem Wechsel, seit dem Ende der konventionellen Zweisamkeit wurde noch keine revolutionäre Form gefunden, die besser wäre.

 

Bei Eduard, für den Seitensprünge wie selbstverständlich dazu gehören, kommen prinzipielle Zweifel an seiner Liebesfähigkeit auf. Eine Zigeunerin liest ihm in seinem Szene-Lokal aus der Hand, seine Liebeslinie sei dreigeteilt, mit einer deutlichen Mittellinie, aber auch mit zwei Abzweigungen. Womit sie nicht Unrecht hat, denn neben Klara gibt es tatsächlich noch zwei weitere Frauen in seinem Leben, und das Chaos wird komplett, als die beiden kurz hintereinander auch noch schwanger werden, während seine große Liebe Klara vergebens auf ein Kind hofft. Das Experiment «Freie Liebe» hat die Ratlosigkeit in der Beziehung der Geschlechter jedenfalls nicht beseitigt, so das Fazit, im Gegenteil, sie ist größer denn je.

 

Diese satirische Aufarbeitung der leidigen 68er-Erbschaft ist eine ebenso unterhaltsame wie bereichernde Lektüre. Es ist Peter Schneider mühelos gelungen, seine eher essayistischen Einsichten und Ansichten, zu kontemplativen Einschüben verdichtet, in innere Monologe und oft ausufernde Debattebeiträge seiner Figuren zu transformieren. In denen wiederum, das ist eine narrative Schwäche des Romans, immer nur Eduard alias Peter Schneider zu erkennen ist. Die Charaktere, insbesondere aber auch die Sprache seiner «Versuchspersonen», - so übrigens der ursprünglich geplante Titel -, sind fast schon kongruent. Am Ende feiert die spießige Kleinfamilie, zu der Eduard Zuflucht nimmt in seinem Gefühlschaos, fröhliche Urständ, - q. e. d.

 

4* erfreulich - Bories vom Berg - 10. Juni 2019

 

 

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