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INGO SCHULZE

 

PETER HOLTZ

Kommentar lesen

Mit ungutem Beigeschmack

 

Glück und Wende sind die Themen in Ingo Schulzes Schelmenroman «Peter Holtz», der seine Leserschaft mindestens ebenso polarisiert hat wie die zwei deutschen Staaten, die sich einst ideologisch unversöhnlich gegenüberstanden. Darf man das viele Leid, welches der Unrechtsstaat DDR über sein Volk gebracht hat, - nicht nur die Mauertoten, sondern auch die unsäglichen Repressionen Millionen Andersdenkenden gegenüber, denen oft ja unwiderruflich der Lebensweg zerstört wurde -, darf man all das unterbügeln, darf man darüber nassforsch aus der Perspektive eines Schelms erzählen?

 

Mit dem Untertitel «Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst» ist schon einiges gesagt, der Aufstieg des Waisenkindes beginnt mit seiner Adoption, und weil sein Berufsziel, der freiwillige Eintritt in die NVA, kläglich scheitert, wird Peter Holtz Maurer. Bald schon bekommt er ein Haus geschenkt, die viel zu niedrigen, staatlich festgelegten Mieten, der marode Zustand und der Mangel an Baumaterial lassen das eigene Haus für viele zur lästigen Bürde werden, zu unerwünschtem Eigentum, das man aber zu unterhalten verpflichtet ist. Peter saniert voller Tatendrang in Eigenregie, kauft weitere Häuser hinzu, finanziert das alles durch sein illegales, privates Trabbi-Taxi, mit dem er am Staat vorbei das benötigte Geld verdient. Eigentlich ja ein Sündenfall des ansonsten linientreuen DDR-Bürgers, der naiv und kritiklos die idealistischen Parolen der Parteibonzen wörtlich nimmt und sie in endlosen Disputen gegen Kritik geschickt verteidigt. Mit seiner Hinwendung zum Christentum, - ideologisch für ihn «ein zweites Standbein» -, und dem Eintritt in die Ost-CDU beginnt seine politische Karriere, fortan sind Kommunismus und Christentum für ihn zwei Seiten einer Medaille. Nach einem Autounfall fällt er ins Koma und wacht erst nach dem Mauerfall wieder auf. Durch seine diversen Häuser ist er nun quasi über Nacht zum Millionär geworden, sie sind plötzlich sehr viel wert. Von einem Immobilienhai zur Ideologie des Eigentums bekehrt, interpretiert er Kapitalismus allerdings auf eigene Weise. Geschickt vermehrt er zwar sein Geld, ohne dabei aber seine Idee einer wahrhaftig kommunistischen Gesellschaft aus den Augen zu verlieren, in die der Kapitalismus zwangsläufig irgendwann einmünden würde. Da ist Geld dann überflüssig, weil durch gerechte Verteilung der gemeinsam erwirtschafteten Güter die legitimen Bedürfnisse des Volkes für alle zufriedenstellend erfüllt werden können. Folgerichtig geht er mit gutem Beispiel voran und beginnt, sein für das Wohlergehen der Menschen unnötiges Geld öffentlich unter der Weltuhr am Alexanderplatz in Berlin zu verbrennen, Tausenderschein für Tausenderschein.

 

Die Sterntaler haben dem armen Mädchen bei den Brüdern Grimm letztendlich kein Glück gebracht, der naive Peter Holtz erlebt das Gleiche. Der den Zeitraum von 1974 bis 1998 abdeckende Schelmenroman klammert durch die Perspektive eines DDR-indoktrinierten Holzkopfes, eines Narren mit einem dicken Brett vor dem Kopf, parabelartig die bittere Realität völlig aus, wobei die Geschichte auch noch, - um beim Kalauern zu bleiben -, holzschnittartig erzählt wird in einer geradezu simplen Diktion. Die ausufernden und irgendwann ziemlich langweilig werdenden ideologischen Reflexionen werden zumeist in Dialogform vorgebracht, ohne aber eine tiefer reichende, überzeugende politische Wahrheit abbilden zu können, wobei dann auch noch der penetrante Oberlehrerduktus des kapitalismuskritischen Autors gewaltig stört.

 

Gleichwohl ist «Peter Holtz» ein amüsanter, lesenswerter Roman, der eigene Gedanken des Lesers anstößt und auf jüngere sogar Horizont erweiternd wirken dürfte. Dieser moderne Narr ist in seinem Feldzug gegen das Geld ebenso unbeirrbar wie sein literarisches Vorbild Don Quijote. Solcherart Harmlosigkeit aber täuscht leider völlig über die Tücke des DDR-Regimes hinweg, was dem in pikaresker Tradition Erzählten leider einen unguten Beigeschmack verleiht.

 

3* lesenswert - Bories vom Berg - 25. Oktober 2018

 

 

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Bernd Nrp aus Neuruppin

Lieber Bories aus München,
als sehr hilfreich schätze ich ihren Kommentar ein. Ich kenne aus dem Kulturradio die Vorab-Hörbuchveröffentlichung. Meine Brieffreundin, (Westkind , Anfang 30), fragt mich alten (Ostkind, 68) wie es in der DDR war, ob ich nicht fliehen wollte oder die Stasi mich beobachtete. Ich wusste nicht, wie ich ihr diese einerseits sozial sichere, andererseits lebensvorbestimmende und deshalb für mich vom Lebenslauf her plötzlich (Anfang 30) langweilige DDR-Parallelgesellschaft mit ihrer ständigen Mangelwirtschaft und dem zunehmenden Instandsetzungsstau erklären soll. Ich dachte an das Buch, wegen des Humors, als Ergänzung meines eigenen Erfahrungsschatzes. Ich befürchtete, sie versteht es nicht, wenn sie es liest.

 

Genau ihre Rezession bestätigt meine Vermutung. Da bleibt nur das Hörbuch, vom Autor selbst gelesen. Darin spürt man, vorausgesetzt Sinn für Ironie, und für ehemalige DDR-Bürger, die zwischen den Zeilen zu lesen gelernt haben, sowieso, die Situation in der DDR. Der ungute Beigeschmack, den sie aus ihrer Position zu Recht haben, verschwindet dann völlig. Die Naivität des Peter Holtz ist die Naivität der Ideologie der Funktionäre, zum Teil darin geschuldet, dass sie selbst zweifelten, vielleicht nicht am Ziel, aber am Weg dahin.

 

Letztendlich verdanken wir dieser Situation den geschichtlich äußerst seltenen Fakt der Selbstaufgabe des Systems gemäß der eigenen Lehre: "Siegen wird der ökonomisch stärkere". Schon passt der DDR-Witz zum Unterschied beider Systeme: Sozialismus arbeitet ökonomisch, Kapitalismus wirtschaftlich. Ich respektiere ausdrücklich diejenigen, die die Situation nicht ertragen konnten und Konsequenzen, auch unter Einsatz ihres Lebens, zogen. Noch mehr die, die versuchten ( vorher und bis nach 1989) Veränderungen aktiv durchzusetzen. Da gibt es keine Abstriche.

B

 

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