INGO
SCHULZE
HANDY
Vom
Risiko profaner Abschweifung
Mit dem Erzählband «Handy» deutet Ingo Schulze
schon in dem bemerkenswerten Untertitel «Dreizehn Geschichten in
alter Manier» auch gleich sein Stilmittel des einfachen Erzählens
an. Der kleinen Form der Belletristik, dem Sammelband «33
Augenblicke des Glücks», verdankte er 1995 auch seinen Durchbruch
als Schriftsteller. Und mit dem vorangestellten Zitat von Friederike
Mayröcker weist er zudem recht deutlich auf den Geist des
vorliegenden Buches hin, auf das dominante Prinzip der
Beiläufigkeit: «Dann folgte ein Tag dem anderen ohne dasz die
Grundfragen des Lebens gelöst worden wären.» Als ein in der DDR
sozialisierter Schriftsteller, hat er im Interview erklärt, empfinde
er seinen Blick auf die Gesellschaft zumindest teilweise immer noch
als den eines Außenstehenden, und das sei auch prägend für dieses
Werk gewesen.
Für viele der Geschichten habe er die Ideen lange
mit sich herumgetragen, ohne zu wissen, was daraus werden könnte
beim Schreiben. Im Vordergrund seiner autofiktional inspirierten
Erzählungen steht dabei die Anmutung von Unmittelbarkeit, die
Illusion des wahrhaftig Erlebten, auch wenn das meiste davon der
Phantasie entsprungen ist. Eine eigenwillige Umkehr des
vorherrschenden Prinzips, das Faktische des Lebens in erzählende
Literatur umzusetzen. Hier steht also die Literarizität obenan, der
literarische Grad eines Werkes also, dem Ingo Schulze dann seinen
fiktionalen Erzählstoff überstülpt. Er tut das in einer so allgemein
gehaltenen Weise, dass seine Geschichten oft unverständlich bleiben
und meist auch völlig belanglos sind, weil scheinbar Realität und
Fiktion anders für ihn nicht in Einklang zu bringen sind.
Damit geht der Autor bewusst unter das eigene wie
auch unter das Milieu seiner Leser, er biedert sich also
volkstümlich an mit Hilfe des Profanen. Sein literarisches Mittel
dafür ist die Beiläufigkeit, in der da erzählt wird, ein
sprachlicher Stil, der schnell Gefahr läuft, langweilig zu werden.
Den Leser beschleicht nämlich schon bald das Gefühl, scheinbar
grotesk unterfordert zu sein. Hinzu kommt, dass all das Banale in
den Erzählungen stilistisch adäquat in anspruchsloser
Umgangs-Sprache geschildert wird, der Leser wird also auch hiermit
intellektuell nicht gefordert. Es wird allerdings, ob man will oder
nicht, ein Gefühl der Vertrautheit erzeugt, man wird also fast
zwangsläufig in eine zeitgemäße Lebenswirklichkeit hineinversetzt.
Bei aller literarischen Schlichtheit versteht es
Ingo Schulze in diesen Erzählungen, alles sehr detailliert zu
beschreiben und seine Themen zudem in stimmigen Dialogen zu
artikulieren. Die politische Wende in Deutschland hat natürlich
mentale Veränderungen der Menschen bewirkt, die auch soziale
Auswirkungen haben und den Erzählstoff mitprägen. Das «Handy» steht
als Metapher sinnbildlich für die Ausweitung des eigenen
Lebensbereiches, es wirkt einer engbemessenen Abschottung der
Lebenswirklichkeit des Individuums entgegen, mit für nahezu
jedermann spürbaren Auswirkungen, denn man kann sich nun der äußeren
Welt kaum noch entziehen. Mit diesem literarischen Unterbau und mit
einem solch bunten Sortiment an Themen bleibt es nicht aus, dass
recht inhomogene Texte entstanden sind, die qualitativ ziemlich
unterschiedlich ausgefallen sind und natürlich auch nicht alle
wirklich zu überzeugen vermögen. Der Reiz der Lektüre liegt
sicherlich bei der scheinbar zufälligen Kombination
unterschiedlichster Motive und Szenerien, die erst durch ihre
Beziehungen zueinander an Gehalt gewinnen und Zusammenhänge
verdeutlichen. Wer so unkonventionell und, immer wieder weit
abschweifend, profan zum Thema der menschlichen Glückssuche
schreibt, der läuft Gefahr, nicht verstanden zu werden und die
potentielle Leserschaft zu verschrecken. Ingo Schulze hat dieses
Risiko sehr beherzt und offensichtlich auch recht selbstbewusst auf
sich genommen. In wieweit er damit eine individuell wirklich
bereichernde und unterhaltsame Lektüre geschaffen hat, kann jeder
Leser nur ganz allein für sich entscheiden!
2* mäßig - Bories
vom Berg - 21. Januar 2025
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