TRANSIT
Sie hatte alles selbst erlebt auf ihrer Flucht vor den Nazis, die in Deutschland ihre Bücher verbrannt hatten und vor denen sie sich als KPD-Mitglied ins unbesetzte Frankreich gerettet hatte, nach Marseille. Der Roman «Transit» der unter Pseudonym schreibenden Schriftstellerin Anna Seghers ist insoweit ein fiktional angereichertes, autobiografisch inspiriertes Zeitzeugnis einer schlimmen Epoche, die in jenem Frühjahr 1940 ihren Anfang nahm und als Vichy-Regime unrühmlich in die Geschichte einging. Eine politische Katastrophe, die damals viele Flüchtlinge nach Südfrankreich fliehen ließ mit seinem für eine Auswanderung wichtigen Überseehafen. Dieses der «Neuen Sachlichkeit» verpflichtete, 1941/42 geschriebene Frühwerk gehört zu den bedeutenden Werken der Exilliteratur. Die Autorin übersiedelte 1950 in die DDR, hatte dort etliche offizielle Funktionen inne und wurde mit Ehrungen für ihr umfangreiches Œuvre geradezu überhäuft, ihrer unbeirrbaren Linientreue wegen allerdings auch heftig kritisiert.
In einer Pizzeria in Marseille lädt ein namenlos bleibender Ich-Erzähler, ein 27jähriger Deutscher, einen Unbekannten zum Essen ein, ganz offensichtlich sucht er jemanden, dem er seine Geschichte erzählen kann. Er sei aus einem KZ in Deutschland geflohen, habe den Rhein durchschwommen und sei dann in Frankreich in einem Arbeitslager in der Nähe von Rouen inhaftiert worden. Beim Näherrücken der Front gelingt einer Gruppe deutscher Häftlinge der Ausbruch, auf der Flucht werden sie von den vorrückenden deutschen Truppen überrollt. Er schlägt sich ins besetzte Paris durch, wo Freunde ihn aufnehmen. Dort trifft er einen ehemaligen Mithäftling, der ihn bittet, einem Dichter namens Weidel einen Brief zu überbringen. Aber der hat sich das Leben genommen, man bittet ihn, den Koffer des Toten seinen Verwandten zu bringen. Als die Übergabe scheitert, behält er den Koffer und entdeckt darin neben Briefen von dessen Frau, die mit ihm nach Mexico auswandern wollte, ein Manuskript. «Aus lauter Langeweile fing ich zu lesen an. Ich las und las. Vielleicht, weil ich bisher noch nie ein Buch zu Ende gelesen hatte. Ich war verzaubert» erzählt er. «Und plötzlich, so in den dreihundert Seiten, brach alles für mich ab. Ich erfuhr den Ausgang nie». Als ihm in Paris die Gefahr zu groß wird, entdeckt zu werden, flieht er schließlich nach Marseille. Als er dort den Koffer im mexikanischen Konsulat abgeben will, hält man durch ein Missverständnis ihn selbst für Weidel.
Wir erleben einen wahrhaft kafkaesk anmutenden Kampf der Flüchtlinge um Visa, Transits, Schiffstickets, Testate und anderes mehr mit einer unwilligen Verwaltung, von den Menschen spöttisch als «Konsulatszauber» und «Visatanz» bezeichnet. Über weite Teile des Romans wird dieser bürokratische Wahnsinn von Vorbedingungen und Fristen geschildert, die sich häufig gegenseitig ausschließen und die Menschen zur Verzweiflung treiben, den coolen Erzähler selbst jedoch wenig beeindrucken. Er beobachtet eine Frau, die rastlos durch Marseille streift und jemanden zu suchen scheint. Schließlich lernt er sie als Freundin eines Arztes kennen, sie ist Weidels Frau, die ihren Exmann wegen der Auswanderungspapiere sucht. Er verliebt sich in sie, hilft dem Arzt und ihr gleichwohl bei den Formalitäten für ihre Ausreise, und als er sie schließlich über den Tod ihres Mannes informiert, glaubt sie ihm nicht. Enttäuscht verzichtet er auf die für ihn unerreichbare Frau und entschließt sich endgültig, zu bleiben.
Der kunstvoll konstruierte Plot ist sehr informativ in einer angenehm zu lesenden Sprache erzählt, mit stimmig erscheinenden, originellen Figuren, deren in immer neuen Varianten geschilderter, meist erfolgloser Kampf mit der Bürokratie irgendwann jedoch ziemlich langweilig wird. Das abrupte Ende in Weidels Manuskript scheint sich hier zu wiederholen, «Ich werde eher des Wartens müde als sie der Suche nach dem unauffindbaren Toten.» lautet der letzte Satz des resignierenden Helden.
3* lesenswert - Bories vom Berg - 15. Februar 2016
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