JORGE SEMPRUN
WAS FÜR EIN
SCHÖNER
SONNTAG
Was für ein schöner Kommunismus!
Das Werk des spanischen Schriftstellers Jorge Semprún ist
geprägt durch seine bewegte Jugend, 13-jährig ging er mit seiner Familie wegen
des Bürgerkriegs ins holländische Exil, nach dem Sieg Francos dann nach Paris.
Er studierte dort Philosophie und trat 1941 der kommunistischen Résistance bei,
wurde 1943 von der Gestapo verhaftet und 1944 ins KZ Buchenwald deportiert. Sein
1980 erschienener Roman «Was für ein schöner Sonntag» ist der Versuch einer
späten, nachträglichen Aufarbeitung dieser für den damals jungen Mann prägenden
Erlebnisse, sie stellt eine berührende Mahnung zur Humanität dar. Wie auch in
vielen anderen seiner Werke geht es ihm hier besonders um das Vergessen, dem
beschönigenden Verblassen historischer Schreckensbilder, dem er literarisch
entgegen wirken will.
Die eigentliche Handlung betrifft einen einzigen Tag, einen
Sonntag im Dezember 1944. Der Autor ist als Häftling 44904 in der
Arbeitsstatistik des Konzentrationslagers Buchenwald eingesetzt, in dem viele
politische Gefangene interniert sind. Ein privilegierter Schreibtischjob, der
ihn vor den gefürchteten Außeneinsätzen bewahrt. In einer Art Vorspiel im
Kapitel Null der in sieben Kapitel gegliederten Geschichte erzählt Semprún von
einem Freigang, bei dem er die auf einer Wiese stehende, vermeintliche
Goethe-Buche auf dem Hügel von Ettersberg bewundert. Was ihn fast das Leben
gekostet hätte, denn ein SS-Mann entdeckt ich dort abseits des Weges. In diesem
Vorspann bereits lässt der Autor Léon Blum, den ehemaligen französischen
Ministerpräsidenten, und Goethe mit Eckermann auftreten, man ahnt da schon, dass
wohl recht unkonventionell erzählt werden wird im Weiteren.
Und so ist es denn auch, die Erzählung folgt keinem planvoll
angelegten Handlungsfaden, sie ist in keiner Weise chronologisch aufgebaut.
Vielmehr folgt sie den Assoziationen des Ich-Erzählers, seinen zeitlich wilden
Gedankensprüngen, die irgendein geschildertes Detail, eine bestimmte Erinnerung
bei ihm auslösen, ihn damit allerdings auch permanent vom Thema ablenken. Und so
findet man massenhaft Sätze wie «Aber wir wollen nicht abschweifen» oder, noch
besser: «Aber wo bin ich stehen geblieben»? Oder Sätze wie: «Aber wir sind
zwanzig Jahre früher an einem Sonntag in Buchenwald». Ein weiteres Stilmittel
ist der häufige Wechsel der Erzählperspektive, der personale Ich-Erzähler wird
unvermittelt zum Er-Erzähler, der von Gérard berichtet, den Decknamen aus dem
kommunistischen Untergrund benutzend, und plötzlich wird dann auch noch
suggestiv in der Du-Form erzählt, alle drei Formen finden sich zuweilen auf
einer einzigen Seite.
Semprún stellt dem KZ-System der Nazis den stalinistischen
GULAG gegenüber, manche seiner russischen Mitgefangenen landen nach der
Befreiung gleich wieder in einem sowjetischen Straflager, man hält sie für
Kollaborateure. Als Philosoph ergeht sich der Autor in schier endlosen
Erörterungen des Kommunismus, redet von Dialektik, von Treffen der Komintern,
vom Untergrundkampf in einer Detailfülle, die den Normalleser nicht nur
überfordert, sondern verschreckt. In nicht nachvollziehbaren politischen
Diskussionen und Winkelzügen einer endlos erscheinenden Reihe von Figuren, deren
Namen allenfalls Insidern bekannt sein dürften, mit seinen ständigen Reisen
kreuz und quer durch Europa verwirrt uns der Autor, der oft selbst nicht mehr
weiß, wann, wo und warum. So ist dieser zwiespältige Roman einerseits eine
fiktional angereicherte, interessante Autobiografie, andererseits die
selbstgerechte Nabelschau eines kommunistischen Intellektuellen, der erst spät
begreift, welcher menschenverachtenden Ideologie er gefolgt ist, wessen Sache er
in Wahrheit gefördert hat. Den wenigen erfreulich zu lesenden Passagen dieses
Romans steht eine nur Insider interessierende Textmasse gegenüber, die
ungeordnete Gedankenflut eines spät geläuterten kommunistischen Aktivisten. Dem
aber konnte ich, bei allem Respekt, partout nichts abgewinnen!
2*
mäßig - Bories vom Berg - 24. Juli 2015
® Schriftliche Danksagung eines Lesers
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